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Cryonic: Der Dämon erwacht (Cryonic 1) (German Edition)

Cryonic: Der Dämon erwacht (Cryonic 1) (German Edition)

Titel: Cryonic: Der Dämon erwacht (Cryonic 1) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vitali Sertakov
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Bescheid wisse, der vor dem Großen Tod geboren worden war. Die Legende von dem Burschen aus Riga war damit geplatzt …
    »Fragt!«, forderte Kowal sie schicksalsergeben auf und setzte sich auf einen Stuhl, der für ihn freigehalten worden war, eine venezianische Arbeit.
    In den nächsten zwei Stunden griff er viermal zu der Flasche mit dem kostbaren Weizenbier, um seine Kehle anzufeuchten. Nie zuvor hatte er so lange am Stück geredet. Anfangs hatte er noch befürchtet, die Menschen würden ihn nach Dingen fragen, die mit der Katastrophe verbunden waren – über die er rein gar nichts wusste. Doch die meisten Fragen zielten auf ganz alltägliche Probleme.
    Die größte Aufregung löste er mit seinen Schilderungen der Familienbeziehungen aus. Es überstieg die Vorstellungskraft der meisten Anwesenden, dass Frauen und Männer sich aus freien Stücken zusammenfinden und wieder trennen, dass sie neue Beziehungen aufbauen und alte zerschlagen durften. Einige allzu intime Fragen ließen ihn ratlos zurück. In solchen Fällen sah er sich Hilfe suchend nach Charly um, aber dieser zuckte nur die Achseln, denn er steckte seine Nase genauso ungeniert in fremde Betten wie alle anderen. Ein Schock waren für die Anwesenden darüber hinaus die Ausführungen, was es mit dem alten russischen Strafgesetzbuch auf sich hatte, sowie die Tatsache, dass Kinder sich früher frei in der Stadt bewegen durften.
    »Wie konnte das sein?«, empörte sich ein Alter mit gesprungener Brille und einem bis zu den Knien reichenden Nylonhemd. »Da hat ein Dieb zweimal was geklaut – und ist trotzdem nach seiner Strafe wieder frei in der Gegend rumspaziert?«
    Alle brummten zustimmend.
    »Wozu diese Umerziehung , Meister?«, geiferte der Alte weiter. »Wenn der Dieb bereits ein Jahr Arbeit in der Metro aufgebrummt bekommen hat oder ein Jahr Holzfällen, dann reicht das, um jeden umzuerziehen . Beim nächsten Mal kann die Strafe nur der Galgen sein.«
    Kowal wusste nicht, was er darauf antworten sollte. Aus heutiger Sicht hatte der Alte ja recht …
    »Wie gefährlich euer Leben war!«, brachte eine der Frauen mit dünner Stimme hervor. »Man hat uns alte Zeitungen vorgelesen, aber wir wollten einfach nicht glauben, dass unter den Rädern der Wagen damals mehr Menschen gestorben sind, als wir Mitglieder in unserer Gemeinschaft zählen …«
    Artur saß ein Kloß im Hals. Wie konnte sich die Welt nur so verändert haben, dass er sie nicht wiedererkannte? Und mit diesen ungläubigen, groben Menschen sollte er die nächste Woche verbringen … Denn heute hieß es nicht mehr Piter–Moskau in acht Stunden. Heute brauchte man wieder so lange wie im Mittelalter. Und sollten nicht bald Dampfloks den Betrieb aufnehmen, würde sich daran nicht das Geringste ändern. Dann würde die Straße endgültig im Wald aufgehen – in dem mit Sicherheit irgendwann die grässlichen Gestalten aus alten Märchen hausen würden. Nach aller Logik der Dinge dürfte es dann bis zu Menschenopfern nicht mehr weit sein! Doch wie schnell sich diese düsteren Prognosen bewahrheiten sollten, das ahnte Artur in diesem Moment nicht einmal …
    Die Glocke auf dem vordersten Panzer schlug Mittag.
    »Wir rasten!«, verkündete Charly und bahnte für Artur, den die überhitzte und stickige Luft schwindeln ließ, einen Weg aus dem dichten Ring der Neugierigen. Die Passagiere wollten ihn eigentlich noch nicht entlassen, sodass er ihnen versprechen musste, die Reise in die Vergangenheit morgen fortzusetzen.
    Obwohl Artur nach diesem Vortrag völlig ausgelaugt war, hatte er auch ein Gutes gehabt: Durch die Fragen seiner Mitreisenden hatte er sein Gedächtnis fast vollständig zurückgewonnen, zumindest was die letzten Tage anging. Außerdem erinnerte er sich, wie es dazu gekommen war, dass er zugestimmt hatte, sich für zwanzig Jahre in Schlaf versenken zu lassen. Im Grunde musste er sogar dankbar sein, dass er hier und jetzt aufgewacht war. Denn in der untergegangenen Welt hätte er nicht aufwachen wollen …
    Das südlich von Piter gelegene Tosno umfuhren sie. Kowal erkundigte sich bei Charly, warum sie nicht die neue Straße nahmen, die noch zu seiner Zeit angelegt worden war, sondern die alte, viel schmalere. Charly zupfte sich mit finsterer Miene den Schnurrbart und versprach, es ihm bei Gelegenheit zu erzählen.
    Die Karawane bildete auf höchst eingespielte Weise einen breiten Kreis auf der Mitte eines riesigen Stücks Land, das bereits Tausende von Rädern und Hufen platt

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