Cryonic: Der Dämon erwacht (Cryonic 1) (German Edition)
und identifizierte zielsicher Arina als die Person, an die er sich wenden musste.
Nachdem sie einander zugewinkt hatten, sprang er leichtfüßig von dem Vehikel. Der Falke schlug mit den Flügeln, blieb aber auf der Schulter hocken. Arina ging auf den Mann zu, um ihn mit einem Handschlag zu begrüßen. Anschließend fragte sie den Jungen im Käfig etwas. Der Bär verhielt sich so, als ginge ihn diese ganze Szene nichts an. Charly drängte sich mit Artur im Schlepptau durch die Menge, damit er Meister Petz aus der Nähe in Augenschein nehmen konnte. Die Bärenmutter, und um eben sie handelte es sich, hatte ohne Frage schon mehr als einen Kampf hinter sich. Unter ihrem Fell schimmerten Dutzende von Narben hindurch, ihr fehlten ein halbes Ohr und ein Drittel der Unterlippe, an der linken Pfote war der Knochen nach einem Bruch schief zusammengewachsen. Welches Tier es wohl fertigbringt, einer Bärin die Pfote zu brechen?, grübelte Artur. Aber ihm wollte keins einfallen. Nur ein Fangeisen kam ihm in den Sinn.
»Hallo, Rokotow!«, begrüßte die Frau auf dem Beifahrersitz den Handelsminister. »An dir sollte sich mein Andrjuscha mal ein Beispiel nehmen. Ich wünschte, er bekäme endlich etwas Fleisch auf die Rippen! Der Mann futtert für drei, setzt aber nicht ein Gramm Fett an!«
Daraufhin brach Andrjuscha in derart lautes Gelächter aus, dass der Falke beinahe von seiner Schulter gefallen wäre.
»Mam Luga!«, rief Charly und verneigte sich formvollendet, die Hand aufs Herz gepresst. »Wie das Fett im Körper gespeichert wird, ist ein streng gehütetes Geheimnis meines Geschlechts. Auch ich werde es mit ins Grab nehmen.«
»Meiner Mam Luga gefallen halt Hungerhaken , wie du einer bist!«, sagte Andrej, umarmte Charly und streifte Kowal in seinem weißen Overall mit einem kurzen Blick. »Wie geht es Mam Rubens?«
»Danke der Nachfrage, Andrej. Sie ist stark wie deine Bären.«
»Ist Pap Rubens mit dem Masut zufrieden?«
»Es besteht kein Grund zur Klage. Hast du unser Metall bekommen?«
»Ja, danke. Es ist gutes, hartes Eisen. Wie schön, dass bei euch alles zum Besten steht, Händler.«
»Dito, Erdölarbeiter.«
Arina Rubens wartete geduldig das Ende dieser Begrüßungszeremonie ab und ließ sich durch nichts anmerken, dass eigentlich sie es war, die die Karawane befehligte.
»Und du, Tochter des Roten Vollmonds?«, wandte sich nun Mam Luga an sie. »Was hast du uns zu sagen?«
Bei der Anrede zuckte Artur zusammen, doch alle anderen schienen nichts dabei zu finden.
»Ich kann sie hören. Sie sind auf der anderen Seite des Flusses«, antwortete Arina und rückte den Helm zurecht. »Was meinst du, Sohn des Bären?«
So weit sind wir also schon, dachte Artur unwillkürlich. Die Erwachsenen spielen Indianer. Fehlt nicht mehr viel und wir haben Totempfähle, rituelle Feuer und Todestänze.
Der Junge kletterte mit einem der plüschigen Bären auf dem Arm aus dem Käfig und übergab den Kleinen seiner Mutter. Die fing sofort an, ihn abzulecken. Das zweite Bärenjunge, nun allein im Käfig, stimmte ein klägliches Gejaule an. Der Junge setzte sich auf die Kettenräder und ließ die nackten Beine baumeln, die aus zerlöcherten Hosen herausschauten.
»Auch ich höre sie. Sie sind dort drüben am anderen Flussufer«, bestätigte er, den Kopf zur Seite geneigt, als lausche er auf etwas. »Hundert Reiter, weitere hundert lauern im Wald. Sie haben …«
»… Eisen dabei«, vollendete Arina den Satz.
»Etwa Kanonen?«, hakte Charly nach.
»Nein, ich glaube nicht«, murmelte Arina, nahm den Helm ab und runzelte die Stirn.
In diesem Moment zog jemand Artur von hinten am Ärmel. Als er sich umdrehte, stand Louis vor ihm. Sein Bein war noch immer verbunden, aber das änderte nichts daran, dass er jetzt zum Wachdienst antreten musste.
»Verdammt!«, stieß er aus. »Die greifen uns mit Sicherheit an!«
Er wollte noch etwas hinzufügen, doch da stieß der Sohn des Bären einen Schrei aus: »Die Kinder des Dschingis Khan haben geflügelte Schlangen!«
Ein Raunen lief durch die Menge. Charly japste nach Luft, Louis stöhnte und bekreuzigte sich.
»Woher weißt du etwas über die geflügelten Schlangen, Freundchen?«, fragte Mam Luga ihn in drohendem Ton. »Erschrecke die Menschen nicht mit törichten Märchen!«
Sie hatte sich auf ihrem Sitz zu dem Jungen umgedreht. Nun sah Artur auch, dass sie ein Kind stillte.
»Willst du lieber einen Tag warten?«, wandte sich Andrej an Arina. Strategische Fragen mit Rokotow
Weitere Kostenlose Bücher