Cryonic: Der Dämon erwacht (Cryonic 1) (German Edition)
die Türen zu den freien Zimmern einzuschlagen. Im zweiten Stock entdeckte er mehrere Tote und eine Bar voll mit staubüberzogenen Schnapsflaschen. Der dritte Stock toppte das allerdings noch: Ein verliebtes Pärchen hatte im Wissen, dass der Tod nahe war, eine unglaubliche Party auf seinem Zimmer geschmissen. Außer den nur notdürftig unter einer zerlumpten Decke verborgenen Skeletten entdeckte er im Schrank die Lieblingswaffe jedes Terminators, zwei kurzläufige, extrem gut geölte Remingtons und ein paar Päckchen Patronen. Ein Baseballschläger, zwei verrostete Revolver und eine Kalaschnikow ohne Munition vervollständigten das Arsenal. Entweder war der Mann, der im besten Hotel dieses Provinznestes gestorben war, ein großes Tier der Unterwelt gewesen, oder es musste eine Zeit gegeben haben, wo sich einfach jeder Waffen besorgen konnte.
Wie sich bei näherer Inspektion herausstellte, hatte sich der unbekannte Genießer nicht mit der Frau in seinem Bett begnügt: Zwei weitere weibliche Leichen lagen wie auf einer Spielkarte Kopf gegenüber Kopf angeordnet in der inzwischen schwarzen Badewanne. Vor der Tür zum Bad stand eine riesige Kiste mit Sektflaschen, auf dem Regal überm Waschbecken fand er zwischen steinharter Seife, Shampoo und Vogeldreck einen verstaubten Handspiegel, ein Röhrchen und ein Döschen mit einem gelben Pulver. Die Vögel waren durch das zerschlagene Oberlicht in das Zimmer gekommen und hatten sich unter der Lampe ihre Nester gebaut.
Artur schnappte sich die intakten Gewehre und ging in sein Zimmer zurück. Die Stille, die über der Stadt hing, zerrte an seinen Nerven. Die Wipper saßen noch immer an ihren Lagerfeuern und schliefen in der Nähe der weidenden Pferde unter freiem Himmel. Die Stadt erkunden wollte er nicht, er würde ja doch nur entdecken, was er bereits aus Piter kannte: verlassene Straßen, die an blutleere Adern erinnerten, Thrombosen aus Autowracks an den Kreuzungen und einen von Gras überwucherten, rostroten Marktplatz, sozusagen das Herz des Ganzen. Nur dass dieses Herz stehen geblieben war. Die Frauen durften das Hotel nicht verlassen, sie schlugen sich abends die Zeit um die Ohren, indem sie in ihrem Zimmer sangen. Ständig nur auf das traurige Stöhnen des Windes in den durchgerosteten Lüftungsanlagen hören, das wollten sie nicht.
Am Morgen des vierten Tages kriegten sie dann Besuch. Zwei weitere Gestalten in Weiß. Einer war vom Typ her wie Ismail, also ebenfalls bleich, mit Rastazöpfen und einem fließenden, nicht klar auszumachenden Gesicht. Er blieb im Sattel sitzen. Kowal hatte zwar nur wenig Ahnung von Pferden, aber der Hengst kam ihm riesig vor, wesentlich größer und kräftiger als alle Pferde, die er bisher gesehen hatte. Da der frühmorgendliche Nebel seine Sicht einschränkte, musste er dicht an das Tier herantreten, um sich zu vergewissern, dass er sich nicht getäuscht hatte: Ein Mann von mittlerer Größe konnte fast aufrecht unter diesem Gaul durchspazieren. Das Fell dieses vierbeinigen Titanen glänzte wie Achat, die muskulöse Brust war so breit wie die Motorhaube eines soliden Kleinwagens. Eines Saporoshes beispielsweise. Ein zweites Monster dieses Kalibers weidete Gras ab, während sein Reiter über dem Feuer Pilzschaschliks briet. Von den Pferden ging ein strenger Geruch aus, der Artur in der Nase kitzelte.
Deshalb haben sie also sechs Feuer angezündet, ging es Kowal durch den Kopf. Hätte ich mir eigentlich gleich denken können, schließlich tun die nie was ohne Grund. In jedes dieser Feuer gab Prochor nun eine Prise verschiedener Pulver. Sofort breitete sich ein benebelnder Geruch aus.
»Du bist also der Erwachte Dämon, der unseren Bruder verschont hat?«, fragte der Pilzliebhaber und hob den Kopf. »Bedien dich!«
Mit diesem zerzausten Kerl hatte Artur zum ersten Mal einen jungen Wipper vor sich. Er unterschied sich von den anderen jedoch nicht nur dadurch, dass er erst um die vierzig war. Nein, er war irgendwie ganz anders, fast als ob er aus dem Orient stammen würde. Ob vielleicht einer seiner Vorfahren Tadschike war?, fragte Artur sich. Er setzte sich dem Wipper gegenüber hin und nahm sich ein Pilzschaschlik. Bisher hatten ihm die neuen Herren nichts Böses getan – warum also nicht etwas Höflichkeit an den Tag legen?
»Wozu brauchst du all die Waffen?«, fragte der Mann, wobei seine schwarzen Augen unter den buschigen Brauen vor Vergnügen blitzten. »Willst du auf die Jagd gehen? Und wenn ja, auf wen? Vorerst lass sie aber
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