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Cryonic: Der Dämon erwacht (Cryonic 1) (German Edition)

Cryonic: Der Dämon erwacht (Cryonic 1) (German Edition)

Titel: Cryonic: Der Dämon erwacht (Cryonic 1) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vitali Sertakov
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Skalpell.
    Das Tier schlug um sich und jaulte auf wie ein kleines Kind. Obwohl Kowal es kaum noch aushielt, schaute er auch jetzt nicht hinter sich, sondern blickte wie hypnotisiert auf den Käfig.
    »Ruhm dem Buche!« In der Hand eines anderen Wippers funkelte ebenfalls eine Klinge auf.
    Der Biber heulte inzwischen nicht mehr, sondern schrie wie am Spieß. Blut tränkte sein Fell und strömte aus dem Käfig über das Brett auf den Stein. Der Käfig kippte fast um, doch jemand fing ihn auf und stellte ihn wieder ordentlich hin.
    »Ruhm dem Buche! Möge das Gleichgewicht gedeihen!« Die Wipper stachen von allen Seiten auf das hilflose Tier ein, doch keine der Wunden war tödlich.
    »Sieh hin!«, verlangte Ismail und packte Artur beim Ellbogen. »Sieh dir an, Erwachter Dämon, wie dieser lächerliche Steinhaufen schmilzt!«
    Artur begriff nicht auf Anhieb, wohin er eigentlich gucken sollte, doch als er den Blick hob, vergaß er prompt den Biber und die Krokodile am Flussufer.
    Die Stadt Scharja schmolz. Jeder Stich mit dem Skalpell löste erstaunliche Veränderungen bei den Häusern am Stadtrand aus. Die Zwiebel der Kirche zitterte, neigte sich zur Seite und löste sich in Staubwolken auf. Einige Bootshäuser schwollen an, als würden sie von innen aufgeblasen, und explodierten. Die Kieselsteine am Ufer platzten und sprangen wie Grieben in einer Bratpfanne über den Boden. Im lehmigen Uferhang bildeten sich Löcher, die Wurzeln der Kiefern wanden sich wie gigantische wütende Anakondas. Eine Mauer, die vor einem Dutzend einstöckiger Villen mit Satellitenschüsseln auf den Dächern verlief, schwankte und krachte ein, die Villen der vor über einem Jahrhundert gestorbenen Millionäre fielen wie Kartenhäuser in sich zusammen.
    Schon schoss die unsichtbare Welle weiter. So lautlos, als zerknülle jemand Löschpapier, stürzte die vierstöckige Fassade eines Bankgebäudes zu Boden. In einem Fabrikschornstein taten sich erst Risse auf, dann zerfiel er in Millionen von Steinen. Als Nächstes erwischte es die Hochhäuser. Nur dass diese nicht zusammenbrachen, sondern mit einem tiefen Heulen im Boden versanken, als hätte sich unter ihnen ein Loch aufgetan.
    Artur hatte bisher nicht einmal geahnt, wie wenig nötig ist, um eine ganze Stadt dem Erdboden gleichzumachen. Außerdem hatte es, soweit er wusste, in dieser Gegend nie seismische Aktivitäten gegeben … Pah! Wenn’s denn mal ein Erdbeben wäre, korrigierte er sich selbst, vom Geschrei des Bibers fast schon taub. Das gequälte Tier erinnerte schon lange nicht mehr an den eifrigen Dammbauer: Es war nur noch ein Häufchen jammernden Elends.
    Doch das Schrecklichste sollte erst noch kommen. Im Schlepptau einer Glutwalze rückte der Wald gegen die Stadt vor. Das Wasser am Ufer fing an zu brodeln; an den Stellen, wo der Fluss über die Steine plätscherte, stieg Dampf auf. Die Kiesel unter dem Brett, auf dem Artur saß, glühten wie in einer Sauna. Das Brett selbst verkohlte an der Unterseite bereits. In einer Gasse, in der vor einer Minute noch Staubwolken von den eingestürzten Bauten gehangen hatten, wuchs jetzt im Schnellverfahren Gras. Überdimensionale Äste rissen mit der Unbedarftheit eines Riesen, der sich nach langem Schlaf reckt, sämtliche Konstruktionen aus Eisen und Beton nieder. Wie kann das sein?, fragte sich Artur. Und wann hätte es im Norden Russlands je derart monströse Bäume gegeben? Oder geflügelte Alligatoren. Von Pferden, die groß wie amerikanische Bisons sind, ganz zu schweigen.
    Noch ehe der Biber starb, war der Spuk vorbei. Er endete, indem eine gewaltige Erdschicht in den Fluss kroch und Tausende von Tonnen Wasser in das neue Flussbett sprudelten. Sie spülten die Überreste des Hafens und der prachtvoll gefliesten Promenade fort. Die letzten Vorposten der Zivilisation, die Betonmasten der Straßenlampen, versanken einer nach dem anderen im Boden, als sauge eine Sandwehe sie ein. Dann löste sich auch die Straße auf, über die sie hierhergekommen waren. Kurz darauf kühlten die Steine wieder ab.
    Die Gesellschaft am Ufer hatte jedoch keine Eile, den Rückweg anzutreten. Der Junge trug den Käfig samt Brett fort und warf einen feuchten Sack auf die Steine. Die Flasche mit dem Moosbeerensaft machte eine zweite Runde. Die Wipper haben aber auch schon mal besser ausgesehen, stellte Artur innerlich grinsend fest. Ismail schien um fünf Jahre gealtert, Berder hatte sich die Lippe aufgebissen und blutete, während unter seinen Augen dunkle Schatten

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