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Cryptonomicon

Cryptonomicon

Titel: Cryptonomicon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Neal Stephenson
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damit der Eindruck entsteht, man orte ein Unterseeboot ein. Dann kommt ihm irgendein Gedanke und er macht sich wieder an die Arbeit.
    Irgendwann gegen Morgen hört er ein Quieken aus den Kopfhörern: einem Paar Bakelitschalen, verbunden durch eine Vorrichtung, die wie ein primitives chirurgisches Instrument aussieht, und über ein schwarzes und ein rotes Kabel an den Empfänger angeschlossen sind. Waterhouse dreht die Lautstärke herunter und setzt sich die Kopfhörer auf.
    Er streckt die Hand aus, legt eine Fingerspitze auf den Safe und hört ein schmerzhaftes Pochen in seinen Ohren. Er streicht mit der Fingerspitze über das kalte Metall und hört ein schabendes Geräusch. Jede Schwingung überträgt sich via Kohlebrücke auf die Rasierklingen, erzeugt und unterbricht die elektrische Verbindung, moduliert den elektrischen Strom. Die Klingen und die Kohle sind ein Mikrophon und das Mikrophon funktioniert – und das beinahe zu gut.
    Er nimmt die Hand vom Safe, sitzt eine Weile nur da und lauscht. Er kann das Getrippel von Skerries hören, die sich über die Rationen der Abteilung hermachen. Er kann den Aufprall der Wellen am Ufer, meilenweit entfernt, hören und das dumpfe Geräusch, mit dem die abgefahrenen Reifen des Taxis durch Schlaglöcher in der Straße rumpeln. Sieht so aus, als müssten sie mal wieder ausgewuchtet werden! Er kann das Schurren hören, mit dem Margaret den Küchenboden putzt, ein paar geringfügige Rhythmusstörungen im Herzschlag der Soldaten, das Krachen kalbender Gletscher an der Küste Islands und das sirrende Dröhnen schnell drehender Schrauben sich nähernder Geleitzugschiffe. Lawrence Pritchard Waterhouse ist auf eine Weise an das Universum angeschlossen, die selbst das übersteigt, was Bletchley Park zu bieten hat.
    Mittelpunkt dieses speziellen Universums ist der Safe von U-553, und seine Achse verläuft durch die Mitte des Skalenrings, auf dem nun Waterhouses Hand liegt. Damit ihm nicht die Trommelfelle platzen, ehe er irgendetwas anfasst, dreht er die Lautstärke ganz herunter. Der Skalenring ist schwer, lässt sich jedoch leicht drehen, als wäre er auf ein Gaslager montiert. Trotzdem findet da drin eine mechanische Reibung statt, die für Waterhouses zugegebenermaßen eisige Finger nicht wahrnehmbar ist, jedoch wie ein Steinschlag über seine Kopfhörer kommt.
    Als die Zuhaltungsfedern sich bewegen, klingt es, als schöbe Waterhouse den Hauptriegel am Höllentor zur Seite. Er braucht ein Weilchen und noch ein paar Fehlstarts, um sich zu orientieren; er weiß nicht, wie viele Zahlen zu der Kombination gehören und in welche Richtung er den Skalenring überhaupt drehen muss. Aber sein Herumprobieren ergibt allmählich ein paar Muster und irgendwann kommt er auf folgende Kombination:
    23 rechts – 37 links – 7 rechts – 31 links – 13 rechts und es gibt ein richtig sattes Klicken und er weiß instinktiv, dass er die Kopfhörer abnehmen kann. Er dreht ein kleines Rad, das neben dem Skalenring angebracht ist. Das zieht die Dorne zurück, die die Tür zugehalten haben. Er achtet darauf, sich nicht an den beiden Rasierklingen zu schneiden, zieht die Tür auf und schaut in den Safe.
    Das Gefühl von Enttäuschung, das diese Handlung begleitet, hat nichts mit dem Inhalt des Safes zu tun. Er ist enttäuscht, weil er das Problem gelöst hat und in den Grundzustand von Langeweile und leichter Gereiztheit zurückgefallen ist, der ihn stets überkommt, wenn er nicht etwas tut, was getan zu werden verlangt, wie zum Beispiel ein Schloss oder einen Code zu knacken.
    Er steckt den Arm bis auf den Boden des Safes und stößt auf einen Metallgegenstand, der ungefähr so groß ist wie ein Hot-Dog-Brötchen. Waterhouse hat gewusst, dass er da sein würde, denn sie haben den Safe hin und her gekippt wie Kinder, die in den Tagen vor Weihnachten eingepackte Geschenke untersuchen, und dabei haben sie etwas mit deutlichem Tink, tonk, tink, tonk von einem Ende zum anderen gleiten hören und sich gefragt, was es ist.
    Der Gegenstand ist so kalt und zieht ihm so gründlich die Wärme aus der Hand, dass es wehtut, ihn anzufassen. Er schüttelt die Hand, um den Kreislauf anzuregen, dann packt er das Ding, zieht es rasch heraus und wirft es auf den Altar. In einer wippenden Bewegung springt es ein-, zweimal auf und gibt dabei ein durchdringendes Klingen von sich – seit Jahrhunderten das musikähnlichste Geräusch, das die Luft dieser Kapelle hat erzittern lassen. Im Licht der elektrischen Lampen, die sie

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