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Cryptonomicon

Cryptonomicon

Titel: Cryptonomicon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Neal Stephenson
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im Altarraum aufgestellt haben, schimmert es grell. Das Glitzern sticht Waterhouse ins Auge, der seit Wochen auf dem grauen, wolkigen Qwghlm lebt und in Sachen herumläuft und schläft, die schwarz, kaki oder dunkeloliv sind. Das Ding fasziniert ihn schlicht wegen seines Glanzes und seiner Schönheit auf dem Hintergrund des stumpfen, groben Basalts, noch ehe sein Verstand es als einen Barren massives Gold identifiziert.
    Er gibt einen prima Briefbeschwerer ab, was sehr praktisch ist, da in der Kapelle starker Zug herrscht und der wichtigere Inhalt des Safes aus dünnen Blättern besteht, die bei der leisesten Brise davonflattern. Die Seiten tragen schwache horizontale und vertikale Linien, sodass jede in ein Gitter aufgeteilt ist, und die Gitter sind mit handgeschriebenen Druckbuchstaben in Fünfergruppen ausgefüllt.
    »Sieh an, was haben wir denn da?«, sagt eine ruhige Stimme. Waterhouse blickt auf und schaut in das beunruhigend gelassene und gleichmütige Gesicht von Enoch Root.
    »Ganz recht. Verschlüsselte Botschaften«, sagt Waterhouse. »Nicht Enigma.«
    »Nein«, sagt Root. »Ich meinte die Wurzel allen Übels hier.« Er versucht den Goldbarren aufzuheben, aber seine Finger gleiten davon ab. Er packt fester zu und hebt ihn vom Altar. Irgendetwas daran sticht ihm ins Auge und er dreht sich um, hält ihn unter eine der elektrischen Lampen und betrachtet ihn stirnrunzelnd und mit der kritischen Intensität eines Diamantenschleifers.
    »Es sind Hanzi-Zeichen eingeprägt«, sagt Root.
    »Wie bitte?«
    »Chinesisch oder Japanisch. Nein, Chinesisch – da ist der Stempel einer Bank in Schanghai. Und da sind ein paar Zahlen – der Feingehalt und die Seriennummer.« Für einen Missionar zeigt er eine unerwartete Vertrautheit mit solchen Dingen.
    Bis zu diesem Zeitpunkt hat der Goldbarren für Waterhouse nichts bedeutet – er ist lediglich eine Probe eines chemischen Elements, wie ein Bleigewicht oder ein Kolben Quecksilber. Aber die Tatsache, dass er Informationen liefern könnte, ist ziemlich interessant. Waterhouse muss unbedingt aufstehen und ihn sich ansehen. Root hat recht: Der Barren ist ordentlich mit kleinen asiatischen Schriftzeichen versehen, die mit einem Stempel eingeprägt worden sind. Die winzigen Facetten der Ideogramme glitzern im Licht, Funken, die die Lücke zwischen den beiden Hälften der Achse überspringen.
    Root legt den Goldbarren auf den Altar. Er schlendert zu einem Tisch hinüber, wo sie Briefpapier aufbewahren, und nimmt sich ein Blatt Durchschlagpapier und einen frisch gespitzten Bleistift. Er kehrt zum Altar zurück, legt das dünne Blatt auf die Oberseite des Goldbarrens und fährt dann mit schräg gehaltenem Bleistift darauf hin und her, sodass es sich mit Ausnahme der Stellen, unter denen sich die eingeprägten Zahlen und Schriftzeichen befinden, schwarz färbt. Binnen kurzem hat er eine perfekte kleine Frottage, die die Inschrift in allen Einzelheiten zeigt. Er faltet das Blatt zusammen, steckt es ein und legt den Bleistift auf den Tisch zurück.
    Waterhouse hat sich längst wieder an die Untersuchung der Blätter aus dem Safe gemacht. Die Zahlen sind alle in derselben Handschrift geschrieben. Da sie aus der Lauge, die durch die Kapitänskajüte des Unterseeboots schwappte, allen möglichen Papierkram herausgefischt haben, kann Waterhouse die Handschrift des Skippers ohne weiteres erkennen; diese Blätter sind von jemand anderem beschrieben worden.
    Das Format der Botschaften macht deutlich, dass sie nicht mit einer Enigma-Maschine verschlüsselt wurden. Enigma-Botschaften beginnen stets mit zwei Gruppen von je drei Buchstaben, die dem Empfänger sagen, wie er die Walzen seiner Maschine einzustellen hat. Da diese Gruppen auf sämtlichen Blättern fehlen, muss ein anderes Verschlüsselungssystem benutzt worden sein. Wie jede andere moderne Nation verfügen auch die Deutschen über eine Fülle von Verschlüsselungssystemen, die teils auf Büchern, teils auf Maschinen basieren. Bletchley Park hat die meisten davon geknackt.
    Trotzdem sieht das hier nach einer interessanten Übung aus. Nun da der Rest von Abteilung 2702 eingetroffen ist und weitere Stelldicheins mit Margaret unmöglich macht, hat Waterhouse nichts mehr, worauf er sich freuen kann. Der Versuch, den auf diesen Blättern benutzten Code zu knacken, ist genau die richtige Aufgabe, um die gähnende Leere zu füllen, die sich auftat, sobald er die Kombination des Safes geknackt hat. Er klaut sich selbst etwas Papier, setzt

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