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Cryptonomicon

Cryptonomicon

Titel: Cryptonomicon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Neal Stephenson
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nur ein Hacker wäre, müsste er jetzt vortreten und sich um die protokollarischen Dinge kümmern. Das wäre der totale Stress für ihn, einfach schrecklich. Doch diesen ganzen Mist hat Gott sei Dank Avi übernommen, der jetzt aufsteht, um auf den Taiwanesen zuzugehen. Die beiden schütteln sich die Hand und tauschen routinemäßig ihre Visitenkarten aus. Der Chinese schaut jedoch geradewegs durch Avi durch und nimmt die anderen Epiphyte-Leute in Augenschein. Randy findet er zu nichts sagend und so lässt er seinen Blick weiter zu Eberhard Föhr wandern. »Wer ist Cantrell?«, fragt er.
    John lehnt am Fenster und ist vermutlich gerade mit der Frage beschäftigt, nach welcher parametrischen Gleichung die Blütenblätter an der zweieinhalb Meter hohen Fleisch fressenden Pflanze angeordnet sind. Er dreht sich um und stellt sich vor. »John Cantrell.«
    »Harvard Li. Haben Sie meine E-Mail nicht bekommen?«
    Harvard Li! Allmählich dämmert es Randy, wer dieser Typ ist. Gründer der Harvard Computer Company, eines mittelgroßen Unternehmens in Taiwan, das Kopien von Markencomputern herstellt.
    John grinst. »Ich habe ungefähr zwanzig E-Mails von einer unbekannten Person bekommen, die behauptet, Harvard Li zu sein.«
    »Die waren von mir! Ich verstehe nicht, wie Sie sagen können, ich sei eine unbekannte Person.« Harvard Li reagiert ausgesprochen lebhaft, aber nicht wirklich sauer. Er gehört nicht zu den Leuten, bemerkt Randy, die sich vor einem Meeting selbst ermahnen müssen, nicht romantisch zu werden.
    »Ich hasse E-Mail«, sagt John.
    Harvard Li starrt ihm eine Weile in die Augen. »Wie meinen Sie das?«
    »Das Konzept ist gut, die Durchführung schlecht. Die Leute treffen keinerlei Sicherheitsvorkehrungen. Da kommt eine Nachricht mit dem Absender Harvard Li und die Leute glauben, sie sei wirklich von Harvard Li. Diese Nachricht ist aber nur ein Muster magnetisierter Punkte irgendwo auf einer sich drehenden Scheibe. Jeder könnte sie fälschen.«
    »Aha. Sie benutzen digitale Signatur-Algorithmen.«
    Darüber denkt John eingehend nach. »Ich antworte auf keine E-Mail, die nicht digital signiert ist. Digitale Signatur-Algorithmen stellen eine bestimmte Signiertechnik dar. Es ist eine gute Technik, aber sie könnte besser sein.«
    Ungefähr nach der Hälfte von Johns Antwort fängt Harvard Li an, beifällig zu nicken. »Gibt es ein strukturelles Problem? Oder machen Sie sich Sorgen wegen der Schlüssellänge von fünfhundertzwölf Bit? Wäre es mit einem Eintausendvierundzwanzig-Bit-Schlüssel akzeptabel?«
    Etwa drei Sätze später schwingt sich die Unterhaltung zwischen Cantrell und Li weit über Randys kryptographische Kenntnisse hinaus und sein Gehirn macht dicht. Harvard Li ist ein Kryptomane! Er hat dieses Zeug höchstpersönlich studiert – nicht nur Untergebene dafür bezahlt, dass sie die Bücher lesen und ihm Notizen schicken, sondern sich höchstpersönlich mit der Mathematik beschäftigt und die Gleichungen durchgerechnet.
    Tom Howard grinst breit. Eberhard sieht so belustigt aus, wie er nur aussehen kann, und Beryl unterdrückt ein Grinsen. Randy versucht verzweifelt, den Witz zu kapieren. Avi bemerkt die Verwirrung in Randys Gesicht, dreht dem Taiwanesen den Rücken zu und reibt Daumen und Zeigefinger aneinander: Geld .
    Ach, richtig. Es musste damit zu tun haben.
    Anfang der Neunziger fertigte Harvard Li ein paar Millionen PC-Klone, auf die er Windows, Word und Excel lud – leider vergaß er irgendwie, Microsoft auch nur einen Scheck auszustellen. Ungefähr ein Jahr später verpasste Microsoft ihm vor Gericht eine Abreibung und bekam Schadenersatz in riesiger Höhe zugesprochen. Harvard meldete Konkurs an: Er habe keinen einzigen Pfennig. Seitdem hat Microsoft versucht zu beweisen, dass er immer noch ein oder zwei Milliarden auf der hohen Kante liegen hat.
    Harvard Li hat natürlich angestrengt darüber nachgedacht, wo er Geld deponieren kann, ohne dass jemand wie Microsoft dran kommt. Dafür gibt es viele altehrwürdige Methoden: das Schweizer Nummernkonto, die Briefkastenfirma, das große Immobilienprojekt im tiefsten, finstersten China, Goldbarren in irgendeiner Stahlkammer. Solche Tricks funktionieren vielleicht mit einem durchschnittlichen Staat, aber Microsoft ist zehnmal cleverer, hundertmal aggressiver und an keine bestimmten Regeln gebunden. Randy bekommt schon eine leichte Gänsehaut, wenn er sich Harvard Lis Situation nur vorstellt: Er wird von Microsofts technisch hoch gerüsteten

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