Cryptonomicon
sind gleichermaßen voll von ehrgeizigen Männern, die alles in ihrer Macht Stehende tun, um dem Kaiser gute Nachrichten zukommen zu lassen, selbst wenn sie nicht genau der Wahrheit entsprechen. Yamamoto hat ein persönliches Glückwunschtelegramm von keinem anderen als dem Souverän höchstpersönlich erhalten. Nun ist es seine Aufgabe, zu seinen diversen Außenposten zu fliegen, aus seiner Betty zu springen, das heilige Telegramm durch die Luft zu schwenken und die Segenswünsche des Kaisers zu übermitteln.
Yamamotos Füße schmerzen teuflisch. Wie jeder andere im Umkreis von tausend Meilen leidet er unter einer Tropenkrankheit, in diesem Falle Beriberi. Es ist die Geißel der Japaner, zumal ihrer Marine, weil sie zu viel polierten Reis und nicht genügend Fisch und Gemüse essen. Seine langen Nerven sind von Milchsäure zerfressen, weshalb seine Hände zittern. Sein schwaches Herz kann nicht genügend Flüssigkeit durch seine Extremitäten pumpen, weshalb seine Füße anschwellen. Er muss mehrmals am Tag die Schuhe wechseln, doch hier hat er keinen Platz dazu. Er wird nicht nur von der Krümmung der Vollsichtkanzel, sondern auch von seinem Schwert behindert.
Sie nähern sich dem Luftwaffenstützpunkt der Kaiserlichen Marine in Bougainville genau nach Zeitplan, um 9 Uhr 35. Ein Schatten streicht über sie hinweg und Yamamoto blickt auf und sieht die Silhouette eines Begleitflugzeuges, in völlig falscher Position und gefährlich nahe.Wer ist dieser Idiot? Dann schnellen jäh die grüne Insel und der blaue Ozean in sein Blickfeld, als der Pilot die Betty im Vollgassturzflug herabstoßen lässt. Mit einem Dröhnen, das den Motorenlärm der Betty übertönt, saust ein zweites Flugzeug über sie hinweg, und obwohl nichts weiter als ein schwarzes Aufblitzen zu sehen ist, registriert er die merkwürdige, gabelschwänzige Silhouette. Es war eine P-38 Lightning und davon hat die japanische Luftwaffe keine geflogen, als Admiral Yamamoto das letzte Mal nachkontrolliert hat.
Über Funk ist die Stimme von Admiral Ugaki aus der anderen Betty, gleich hinter Yamamoto, zu hören: Er befiehlt Yamamotos Piloten, Formation zu halten. Yamamoto kann vor sich nichts als die den Strand von Bougainville überspülende Brandung und die Wand von Bäumen sehen, die scheinbar immer höher wird, je tiefer das Flugzeug geht – der tropische Baldachin ist nun sogar über ihnen. Er ist Marine-, kein Luftwaffenoffizier, aber selbst er weiß, dass man Probleme hat, wenn man bei einem Luftkampf keine Flugzeuge vor sich sieht. Von hinten zischen rote Striche vorbei, und die Betty beginnt heftig zu schüttern. Dann erfüllt gelbes Licht seine beiden Augenwinkel: Die Motoren brennen. Der Pilot hält nun genau auf den Dschungel zu; entweder das Flugzeug ist außer Kontrolle oder der Pilot ist schon tot oder es handelt sich um ein von atavistischer Verzweiflung diktiertes Manöver: schnell, schnell zwischen die Bäume!
Sie fliegen im Geradeausflug in den Dschungel hinein und Yamamoto ist verblüfft darüber, wie weit sie kommen, ehe sie etwas Großes rammen. Dann wird das Flugzeug von Mahagonistämmen zerknüppelt wie ein verletzter Spatz, auf den Baseballschläger einhämmern, und er weiß, dass es vorbei ist. Die Vollsichtkanzel um ihn herum zerschellt, die Meridiane und Parallelen knicken und brechen, was nicht ganz so schlimm ist, wie es sich anhört, da sich der Flugzeugrumpf plötzlich mit Flammen füllt. Als sich sein Sitz aus der geborstenen Kanzel losreißt und in die Luft schießt, packt er sein Schwert, weil er noch im letzten Augenblick seines Lebens nicht gewillt ist, Schande über sich zu bringen, indem er seine heilige, vom Kaiser gesegnete Waffe fallen lässt. Seine Kleidung und sein Haar brennen, als er, die Klinge seiner Ahnen umklammernd, wie ein Meteor durch den Dschungel stürzt.
Ihm geht etwas auf: Die Amerikaner müssen das Unmögliche fertig gebracht und sämtliche japanischen Codes geknackt haben. Das erklärt Midway, es erklärt die Bismarck-See, Hollandia, alles. Besonders erklärt es, warum Yamamoto – der eigentlich in einem dunstigen Garten grünen Tee schlürfen und sich in Kalligraphie üben müsste – nun brennt und mit hundert Meilen pro Stunde auf einem Stuhl durch den Dschungel saust, dicht gefolgt von Tonnen von brennendem Schrott. Er muss das unbedingt weitergeben! Die Codes müssen allesamt geändert werden! Das denkt er, als er mit dem Kopf voran gegen einen dreißig Meter hohen Octomelis sumatrana
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