Cryptonomicon
haben.
Darüber denkt Yamamoto kurz vor Sonnenaufgang nach, als er in Rabaul in seinen Mitsubishi-G4M-Bomber steigt und die Scheide seines Schwertes gegen den Rahmen der schmalen Tür schlägt. Die Yankees nennen diesen Flugzeugtyp »Betty«, eine Verweiblichung, die ihn maßlos ärgert. Andererseits benennen die Yankees auch ihre eigenen Flugzeuge nach Frauen und malen sogar nackte Frauen auf ihre geheiligten Kriegswerkzeuge! Wenn die Amerikaner Samuraischwerter hätten, würden sie die Klingen wahrscheinlich mit Nagellack verzieren.
Weil es sich bei dem Flugzeug um einen Bomber handelt, sind Pilot und Kopilot in ein Cockpit über der Hauptröhre des Rumpfes gezwängt. Die Nase des Flugzeugs ist somit eine abgeplattete Kuppel aus gebogenen Streben, die den Meridianen und Parallelen eines Globus gleichen und deren Zwischenräume mit robusten Glasscheiben ausgefüllt sind. Das Flugzeug ist so abgestellt, dass es in Ostrichtung zeigt und die Glasnase von streifigem Dämmerlicht, den unwirklichen Farben sich entzündender Chemikalien in einem Labor, erstrahlt. Da in Japan nichts zufällig geschieht, muss er annehmen, dass es sich um eine bewusste, der Stärkung der Moral dienende Ehrbezeigung gegenüber der aufgehenden Sonne handelt. Er begibt sich nach vorne in die Vollsichtkanzel und schnallt sich auf einem Platz an, wo er hinaussehen kann, während seine Betty und die von Admiral Ugaki starten.
In der einen Richtung liegt Simpson’s Harbor, einer der besten Ankerplätze im Pazifik, ein asymmetrisches U, von einem ordentlichen Straßengitter eingefasst und von einem britischen Kricketplatz gründlich verschandelt! In der anderen Richtung, jenseits des Kammes, ist die Bismarck-See. Irgendwo da unten liegen, in die zerbeulten Rümpfe ihrer Transporter eingepökelt, die Leichen von ein paar tausend japanischen Soldaten. Ein paar Tausend sind auf Rettungsflößen entkommen, aber ihre sämtlichen Waffen und Ausrüstungsgegenstände liegen auf dem Meeresgrund, deshalb sind die Männer jetzt bloß noch unnütze Esser.
So geht das nun schon seit fast einem Jahr, seit Midway, als die Amerikaner partout nicht auf Yamamotos sorgfältig geplante Finten und Listen Richtung Alaska hereinfielen, sondern seiner Invasionsstreitmacht ganz zufällig alle ihre noch verbliebenen Flugzeugträger genau in den Weg stellten. Scheiße. Scheiße. Scheiße. Scheiße. Scheiße. Scheiße. Scheiße. Yamamoto kaut durch seinen Handschuh hindurch an seinem Daumennagel.
Und nun versenken diese tolpatschigen, stinkenden Bauernlümmel jeden Truppentransporter, den die Armee nach Neuguinea schickt. Doppelt Scheiße! Ihre Aufklärungsflugzeuge sind überall – tauchen stets zur richtigen Zeit am richtigen Ort auf – und blasen mit dem sägenden Näseln großmäuliger Konföderierter zum Halali auf die geheimen Geleitzüge des Kaisers. Die Berge aller dieser gottverlassenen Inseln wimmeln von ihren Küstenbeobachtern, und das trotz der Bemühungen der Armee, sie aufzuspüren und zur Strecke zu bringen. Alle ihre Bewegungen sind bekannt.
Die beiden Flugzeuge fliegen südostwärts über die Spitze von New Ireland und hinaus auf die Salomonensee. Vor ihnen breiten sich die Salomoneninseln, verschwommene Jadebuckel, die sich aus einem dampfenden Ozean zweitausend Meter unter ihnen erheben. Zwei kleine Buckel, dann ein viel größerer, das heutige Ziel: Bougainville.
Man muss Flagge zeigen, solche Inspektionstouren unternehmen, den Fronttruppen einen Eindruck von Ruhm vermitteln, die Moral heben. Yamamoto weiß mit seiner Zeit offen gestanden Besseres anzufangen und versucht deshalb, möglichst viele dieser obligatorischen Dienstreisen in einem Tag unterzubringen. Vor einer Woche hat er seine Seefestung bei Truk verlassen und ist nach Rabaul geflogen, um seine neueste Großoperation zu beaufsichtigen: eine Welle massiver Luftangriffe auf amerikanische Stützpunkte von Neuguinea bis Guadalcanal.
Die Luftangriffe waren angeblich erfolgreich; jedenfalls in gewisser Weise. Die überlebenden Piloten haben riesige Zahlen von versenkten Schiffen gemeldet, ganze Geschwader von amerikanischen Flugzeugen, die auf ihren matschigen Pisten vernichtet worden seien. Yamamoto weiß sehr wohl, dass diese Berichte sich als heillos übertrieben herausstellen werden. Mehr als die Hälfte seiner Flugzeuge sind gar nicht zurückgekommen – die Amerikaner und ihre fast ebenso abstoßenden Vettern, die Australier, waren auf sie vorbereitet. Aber die Armee und die Marine
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