Cryptonomicon
Einmalblöcken?«
»Vielleicht. Bloß Spuren davon.«
»Wie kommst du dann darauf, dass sie etwas anderes als zufällig sind?«
»Es ergibt sonst keinen Sinn, eine neue Methode zu entwickeln«, sagt Waterhouse. »Alle Welt benutzt seit ewigen Zeiten Einmalblöcke. Es gibt dafür bewährte Verfahren. Es gibt keinen Grund dafür, ausgerechnet jetzt, mitten im Krieg, zu diesem neuen, äußerst merkwürdigen System überzuwechseln.«
»Welche Gründe stecken also deiner Meinung nach hinter dieser neuen Methode?«, fragt Alan, dem die Sache sichtlich großen Spaß macht.
»Das Problem mit Einmalblöcken ist, dass man von jedem Block zwei Kopien machen und sie zum Absender und zum Empfänger befördern muss. Nimm nur mal an, du sitzt in Berlin und willst jemandem im Fernen Osten eine Nachricht schicken! Dieses Unterseeboot, das wir gefunden haben, hatte Ladung – Gold und anderen Kram – aus Japan an Bord! Kannst du dir vorstellen, wie umständlich das für die Achse sein muss?«
»Ahh«, sagt Alan. Nun begreift er. Aber Waterhouse beendet die Erklärung trotzdem:
»Angenommen, du kämst auf einen mathematischen Algorithmus zur Erzeugung sehr großer Zahlen, die zufällig wären oder zumindest zufällig wirkten.«
»Pseudozufällig.«
»Ja. Den Algorithmus müsstest du natürlich geheim halten. Aber wenn du ihn – den Algorithmus nämlich – den vorgesehenen Empfängern in aller Welt zukommen lassen könntest, dann könnten sie die Berechnung von diesem Tag an selbst durchführen und den Einmalblock für den jeweiligen Tag bestimmen.«
Ein Schatten geht über Alans ansonsten strahlendes Gesicht. »Aber die Deutschen haben schon überall Enigma-Maschinen«, sagt er. »Warum sollten sie sich die Mühe machen, eine neue Methode zu erfinden?«
»Vielleicht«, sagt Waterhouse, »vielleicht gibt es ein paar Deutsche, die nicht wollen, dass die gesamte deutsche Kriegsmarine ihre Mitteilungen entschlüsseln kann.«
»Ah«, sagt Alan. Das scheint seinen letzten Einwand zu beseitigen. Plötzlich ist er voller Entschlossenheit. »Zeig mir die Mitteilungen!«
Waterhouse öffnet seine Aktentasche, die von seinen Fahrten zwischen Qwghlm und dem Festland Salzflecken und -streifen aufweist, und nimmt zwei braune Umschläge heraus. »Das sind die Abschriften, die ich gemacht habe, ehe ich die Originale nach Bletchley Park geschickt habe«, sagt er und klopft dabei auf den einen. »Sie sind viel leserlicher als die Originale« – er klopft auf den anderen Umschlag -, »die sie mir heute Morgen freundlicherweise geliehen haben, damit ich sie noch einmal studieren kann.«
»Zeig mir die Originale!«, sagt Alan. Waterhouse lässt den zweiten, mit STRENG-GEHEIM-Stempeln übersäten Umschlag über den Tisch gleiten.
Alan öffnet den Umschlag so hastig, dass er ihn zerreißt, und zerrt die Blätter heraus. Er legt sie auf dem Tisch aus. Vor reinstem Erstaunen klappt ihm die Kinnlade herunter.
Einen Moment lang lässt sich Waterhouse täuschen. Alans Gesichtsausdruck macht ihn glauben, sein Freund habe die Mitteilungen dank irgendeines olympischen Genieblitzes in einem einzigen Augenblick durch bloßes Anschauen entschlüsselt.
Aber das ist es keineswegs. Wie vom Donner gerührt sagt Alan schließlich: »Ich erkenne diese Handschrift.«
»So?«, sagt Waterhouse.
»Ja. Ich habe sie schon tausendmal gesehen. Diese Seiten sind von unserem alten Radelkumpan geschrieben worden. Rudolf von Hacklheber. Rudi hat diese Seiten geschrieben.«
Waterhouse verbringt einen Großteil der nächsten Woche damit, zu Konferenzen in den Broadway Buildings nach London zu pendeln. Jedes Mal, wenn zu einer solchen Konferenz zivile Autoritäten erwartet werden – besonders Zivilisten mit teuer klingendem Akzent -, taucht auch Colonel Chattan auf und versteht es auf schrecklich gut gelaunte, indirekte Weise, Waterhouse klarzumachen, er möge die Klappe halten, sofern nicht irgendwer eine mathematische Frage stellt. Waterhouse ist nicht gekränkt. Es ist ihm sogar lieber so, weil er sich dann auf die Arbeit an wichtigen Dingen konzentrieren kann. Während der letzten Konferenz in den Broadway Buildings hat er ein Theorem bewiesen.
Waterhouse braucht ungefähr drei Tage, um dahinter zu kommen, dass die Konferenzen an sich sinnlos sind – nach seiner Einschätzung gibt es kein vorstellbares Ziel, welches durch das, was sie hier diskutieren, gefördert werden könnte. Er macht sogar ein paar Versuche, mit Hilfe der formalen Logik zu
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