Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Cryptonomicon

Cryptonomicon

Titel: Cryptonomicon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Neal Stephenson
Vom Netzwerk:
Und er wirft sich in kräftigen Seitenschwimmzügen vorwärts.
    Einer der anderen, ein Junge, der mit Okinawa-Akzent spricht, ist ein ausgezeichneter Schwimmer. Er und Goto Dengo könnten die anderen beiden mühelos hinter sich lassen. Den größten Teil des Tages versuchen sie trotzdem, mit ihnen zusammenzubleiben. Die Wellen werden höher, sodass es auch guten Schwimmern schwer fällt, vor wärts zu kommen.
    Einer der langsameren Schwimmer hat schon lange, bevor sein Schiff unter ihm abgesoffen ist, mit Durchfall zu kämpfen gehabt und war vermutlich von vornherein stark ausgetrocknet. Gegen Mittag, als die Sonne wie ein Flammenwerfer senkrecht auf sie herunterbrennt, verfällt er in Krämpfe, bekommt Wasser in die Lungen und verschwindet.
    Der andere langsame Schwimmer stammt aus Tokio. Er ist in viel besserer körperlicher Verfassung – er kann einfach nicht schwimmen. »Am besten lernst du’s hier und jetzt«, sagt Goto Dengo. Er und der Junge aus Okinawa verbringen ungefähr eine Stunde damit, ihm das Seiten- und das Rückenschwimmen beizubringen, dann schwimmen sie weiter Richtung Süden.
    Bei Sonnenuntergang ertappt Goto Dengo den Jungen aus Okinawa dabei, wie er einen Mund voll Meerwasser nach dem anderen hinunterschluckt. Das Zusehen ist eine Qual, hauptsächlich weil er es selbst schon die ganze Zeit tun will. »Nicht! Dir wird übel davon!«, sagt er. Seine Stimme ist schwach. Die Anstrengung, seine Lungen zu füllen, gegen den unaufhörlichen Druck des Wassers seinen Brustkorb zu dehnen, richtet ihn zugrunde; jeder Muskel seines Oberkörpers ist steif und empfindlich.
    Bis Goto Dengo den Jungen aus Okinawa erreicht, hat dieser schon zu würgen begonnen. Mit Hilfe des Jungen aus Tokio steckt er ihm die Finger in den Hals und bringt ihn dazu, alles zu erbrechen.
    Es geht ihm trotzdem sehr schlecht und er kann bis tief in die Nacht nichts weiter tun als sich unter wirrem Gemurmel auf dem Rücken treiben zu lassen. Doch als ihn Goto Dengo gerade aufgeben will, kommt er wieder zu klarem Verstand und fragt: »Wo ist der Polarstern?«
    »Heute nacht ist es bewölkt«, sagt Goto Dengo. »Aber in den Wolken ist ein heller Fleck, das könnte der Mond sein.«
    Aufgrund der Position dieses hellen Flecks raten sie die Position von Neuguinea und schwimmen weiter. Ihre Arme und Beine gleichen Lehmsäcken und sie halluzinieren alle.
    Die Sonne scheint aufzugehen. Sie befinden sich in einem Dampfnebel, der in pfirsichfarbenem Licht strahlt, als sauste er durch einen fernen Teil der Galaxie.
    »Ich rieche etwas Verfaultes«, sagt einer von ihnen. Goto Dengo kann nicht sagen, wer.
    »Wundbrand?«, vermutet der andere.
    Goto Dengo füllt sich die Nase mit Luft, ein Vorgang, der ungefähr die Hälfte seiner noch vorhandenen Energiereserven aufbraucht. »Das ist kein verfaultes Fleisch«, sagt er. »Das ist Vegetation.«
    Keiner von ihnen kann mehr schwimmen. Wenn sie es könnten, wüssten sie nicht, wohin, denn der Nebel schimmert gleichmäßig. Und wenn sie sich für eine Richtung entschieden, würde es keine Rolle spielen, denn die Strömung treibt sie, wohin sie will.
    Goto Dengo schläft eine Zeit lang, vielleicht schläft er aber auch nicht.
    Irgendetwas stößt gegen sein Bein. Gott sei Dank, die Haie sind gekommen, um ihnen den Rest zu geben.
    Die Wellen sind aggressiv geworden. Wieder spürt er einen Stoß. Das verbrannte Fleisch an seinem Bein schreit. Es ist etwas sehr Hartes, Raues und Scharfes.
    Genau vor ihm steht etwas aus dem Wasser, etwas Hubbeliges,Weißes. Der obere Teil einer Koralle.
    Hinter ihnen bricht sich eine Welle, hebt sie hoch, schleudert sie nach vorn über die Koralle und häutet sie dabei fast. Goto Dengo bricht sich einen Finger und schätzt sich glücklich. Der nächste Brecher rasiert ihm den letzten Rest Haut ab und schleudert ihn in eine Lagune. Etwas zwingt seine Füße aufwärts und tunkt ihn, weil sein Körper zu diesem Zeitpunkt bloß noch ein schlaffer Sack Scheiße ist, mit dem Kopf voran ins Wasser. Sein Gesicht trifft auf ein Bett von scharfem Korallensand. Dann stecken auch seine Hände darin. Seine Gliedmaßen haben alle Fähigkeiten bis auf das Schwimmen eingebüßt, deshalb braucht er eine Weile, um sie auf dem Boden aufzupflanzen und den Kopf aus dem Wasser zu heben. Dann beginnt er auf allen vieren zu kriechen. Der Geruch nach verfaulter Vegetation ist jetzt übermächtig, als hätte man die Nahrungsmittelvorräte einer ganzen Division eine Woche lang in der Sonne liegen

Weitere Kostenlose Bücher