Cryptonomicon
Sauberkeit zugebracht, dass man kaum glauben möchte, dass wir je die Heimatinseln verlassen haben!«, brüllt Goto Dengo, der weiß, dass er nun über dem Brandungsgeräusch schwer zu verstehen sein muss. »Als es zur letzten Schlacht kam, ging alles ganz rasch, und wir sind in der vollen Blüte unserer Jugend in den Tod gegangen, wie die Kirschblüten, von denen im Erlass des Kaisers, den wir alle über dem Herzen tragen, die Rede ist! Unser Hinscheiden aus dieser Welt ist ein kleiner Preis für den Frieden und den Wohlstand, den wir dem Volk von Neuguinea gebracht haben!«
»Nein, ganz falsch!«, heult der Unteroffizier. Aber seine Kameraden zerren ihn nun den Strand hinauf, zurück zum Dschungel, wo seine Stimme in der ewigen Kakophonie aus Johlen, Kreischen, Zwitschern und unheimlichen Schreien untergeht.
Goto Dengo riecht Diesel und abgestandene Lauge. Er dreht sich um. Die Sterne hinter ihnen werden von etwas Langem, Schwarzem verdeckt, das ungefähr wie ein Unterseeboot geformt ist.
»Deine Nachricht ist viel besser«, murmelt jemand. Es ist ein junger Bursche, der einen Werkzeugkasten trägt: ein Flugzeugmechaniker, der seit einem halben Jahr kein japanisches Flugzeug mehr gesehen hat.
»Ja«, sagt ein anderer – offenbar ebenfalls ein Mechaniker. »Seine Familie wird deine Nachricht viel tröstlicher finden.«
»Danke«, sagt Goto Dengo. »Leider habe ich keine Ahnung, wie der Junge heißt.«
»Dann geh nach Yamaguchi«, sagt der erste Mechaniker, »und such dir aufs Geratewohl irgendein altes Paar aus.«
Meteor
» Vögeln tust du jedenfalls nicht wie eine, die so viel im Kopf hat«, sagt Bobby Shaftoe, die Stimme von Ehrfurcht durchdrungen.
In der Ecke glüht der Holzofen, obwohl es erst September ist, Herrgott noch mal, allerdings in Schweden, wo sich Shaftoe seit sechs Monaten aufhält.
Julieta ist dunkel und schlaksig. Sie greift mit einem langen Arm weit übers Bett, tastet auf dem Nachtschränkchen nach einer Zigarette.
»Gibst du mir mal die Rotzfahne da?«, fragt Shaftoe und beäugt dabei ein ordentlich gefaltetes Taschentuch des United States Marine Corps, das neben den Zigaretten liegt. Sein Arm ist zu kurz.
»Wieso?« Wie alle anderen Finnen spricht Julieta prima Englisch.
Shaftoe seufzt entnervt und vergräbt das Gesicht in ihrem schwarzen Haar. Weit unter ihnen rauscht und zischt der Bottnische Meerbusen wie ein schlecht eingestelltes Radio, über das seltsame Informationen hereinkommen.
Julieta stellt gern bedeutende Fragen.
»Ich will bloß nicht, dass es eine große Schweinerei gibt, wenn ich meinen Rückzug ausführe, Ma’am«, sagt er.
Hinter seinem Ohr hört er den Feuerstein von Julietas Feuerzeug ein-, zwei-, dreimal ratschen. Dann schiebt ihr Brustkorb ihn hoch, als ihre Lungen sich mit Rauch füllen.
»Lass dir Zeit«, schnurrt sie, die Stimme gaumig von Kondensat. »Was hast du vor, schwimmen gehen? In Russland einmarschieren?«
Irgendwo da draußen, auf der anderen Seite des Meerbusens, ist Finnland. Dort sind Russen, und Deutsche.
»Siehst du, du musst bloß vom Schwimmengehen reden und schon wird mein Schwanz kleiner«, sagt Shaftoe. »Also wird er auch rauskommen. Zwangsläufig.« Er denkt, dass er das letzte Wort richtig anwendet.
»Und was passiert dann?«, fragt Julieta.
»Dann kriegen wir einen feuchten Fleck.«
»Na und? Das ist doch ganz natürlich. Die Leute schlafen auf feuchten Flecken, seit es Betten gibt.«
»Verdammt noch mal«, sagt Shaftoe und wirft sich heroisch nach dem Semper-Fi-Taschentuch. Julieta bohrt ihre Fingernägel in eine der empfindlichen Stellen, die sie im Zuge ihrer erschöpfenden kartographischen Erfassung seines Körpers lokalisiert hat. Er windet sich erfolglos; alle Finnen sind große Sportler. Er gleitet heraus. Zu spät! Er fegt seine Brieftasche auf den Boden, als er nach dem Taschentuch grabscht, dann wälzt er sich von Julieta und wickelt es um sich, eine Flagge an einem kaputten Mast, die einzige weiße Flagge, die Bobby Shaftoe je hissen wird.
Dann liegt er einfach eine Weile da, lauscht der Brandung und dem Knacken des Holzes im Ofen. Julieta dreht sich von ihm weg und rollt sich auf ihrer Seite zusammen, meidet den feuchten Fleck, obwohl er natürlich ist, und genießt ihre Zigarette, obwohl die es nicht ist.
Julieta riecht wie Kaffee. Shaftoe beschnuppert und riecht gern ihr nach Kaffee duftendes Fleisch.
»Das Wetter ist nicht allzu schlecht. Onkel Otto müsste eigentlich vor heute Abend zurück sein«, sagt
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