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Cryptonomicon

Cryptonomicon

Titel: Cryptonomicon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Neal Stephenson
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entlang Richtung Süden los. Die Stiefel gehören Otto und sind ihm mehrere Nummern zu groß. Er kommt sich darin wie ein kleiner Junge vor, der in Wisconsin durch Pfützen platscht. Genau das müssteein Junge in seinem Alter eigentlich tun: arbeiten, hart und ehrlich, eine einfache Tätigkeit. Mädchen küssen. In die Stadt gehen, um sich Zigaretten zu kaufen und vielleicht ein Bier zu trinken. Die Vorstellung, in schwer bewaffneten Kampfflugzeugen herumzufliegen und mit modernem Waffensystem Hunderte von ausländischen mordlüsternen Verrückten umzubringen, erscheint ihm mittlerweile antiquiert und unpassend.
    Alle paar hundert Meter verlangsamt er seinen Schritt, um ein Stahlfass oder anderen, von den Wellen angetriebenen Kriegsschrott zu betrachten, der halb im Sand vergraben ist und rätselhafte Aufschriften in russischer, finnischer oder deutscher Sprache trägt. Sie erinnern ihn an die japanischen Fässer an jenem Strand in Guadalcanal.
     
    Mond hebt Meer, aber
    Nicht die Schlafenden am Strand
    Wellen als Schaufeln
     
     
    Im Krieg geht eine Menge drauf – und zwar nicht nur Zeug, das in Kisten und Fässern gelagert wird. So passiert es zum Beispiel häufig, dass man von Männern verlangt, bereitwillig zu sterben, damit andere am Leben bleiben. Auf Guadalcanal hat Shaftoe gelernt, dass man nie weiß, wann die Umstände einen zum Kandidaten dafür machen. Man kann mit dem klarsten, einfachsten, klügsten jemals ersonnenen Plan, ausgedacht von kampferprobten, in Annapolis ausgebildeten Marine-Corps-Offizieren und basierend auf Tonnen von Geheimdienstmaterial, in die Schlacht gehen. Doch zehn Sekunden, nachdem der erste Abzug betätigt worden ist, passiert überall jede Menge Scheiße und die Leute laufen wie die Wahnsinnigen durcheinander. Der Schlachtplan, der noch vor einer Minute genial war, nimmt sich nun so herzig naiv aus wie die Inschriften in einem Schuljahrbuch. Leute sterben. Manche sterben, weil zufällig eine Granate auf sie niedergeht, doch überraschend oft sterben sie, weil irgendwer den Befehl dazu gibt.
    So war es auch mit U-691. Die ganze Geschichte mit dem Dampfer auf Trinidad war irgendwann wahrscheinlich ein brillanter Plan (auf Waterhouses Mist gewachsen, vermutet er). Doch dann ging alles schief und irgendein alliierter Kommandant gab den Befehl, dass Shaftoe und Root, zusammen mit der Besatzung von U-691, sterben mussten.
    Er hätte schon am Strand von Guadalcanal, zusammen mit seinen Kumpels, sterben sollen und hat es nicht getan. Zwischen damals und U-691 war alles nur so etwas wie zusätzlich geschenkte Lebenszeit. Er hat die Möglichkeit gehabt, nach Hause zu gehen und seine Familie zu besuchen, so ähnlich wie Jesus nach der Auferstehung.
    Mittlerweile ist Bobby Shaftoe ganz sicher tot. Deshalb geht er auch so langsam den Strand entlang und betrachtet diese Stücke mit so brüderlicher Anteilnahme, denn auch Bobby Shaftoe ist eine in Schweden an den Strand geschwemmte Leiche.
    Während er darüber nachdenkt, sieht er die Himmelserscheinung.
    Der Himmel gleicht hier einem frisch verzinkten Eimer, den man über die Welt gestülpt hat, um unerwünschtes Sonnenlicht abzuhalten; wenn sich irgendwer eine Meile entfernt eine Zigarette anzündet, glüht sie auf wie eine Nova. Nach diesen Maßstäben sieht die Himmelserscheinung so aus, als fiele eine ganze Galaxie aus dem Weltraum und streifte die Erdoberfläche. Man könnte sie fast für ein Flugzeug halten, nur gibt sie nicht das schnarrende, dröhnende Brummen von sich, das dafür typisch ist. Diesem Ding entfährt ein schrilles Heulen – und ein langer Feuerschweif. Außerdem ist es für ein Flugzeug zu schnell. Es kommt über den Bottnischen Meerbusen herangesaust, quert ein paar Meilen nördlich von Ottos Hütte die Uferlinie und verliert dabei an Höhe und Geschwindigkeit. Doch während es langsamer wird, lodern die Flammen auf und krallen sich nach vorn, am schwarzen Rumpf des Dings entlang, der dem gebogenen, krumpeligen Docht an der Wurzel einer Kerzenflamme ähnelt.
    Es verschwindet hinter Bäumen. In dieser Gegend verschwindet alles früher oder später hinter Bäumen. Ein Feuerball bricht aus diesen Bäumen hervor und Bobby Shaftoe sagt: »Eintausendeins, eintausendzwei, eintausenddrei, eintausendvier, eintausendfünf, eintausendsechs, eintausendsieben«, und verstummt, als er die Explosion hört. Dann dreht er sich um und geht, nun etwas rascher, nach Norrsbruck.

LAVENDER ROSE
    Randy möchte selbst runtergehen und sich

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