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Cryptonomicon

Cryptonomicon

Titel: Cryptonomicon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Neal Stephenson
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Strömungseigenschaften zu untersuchen, wie ein Ingenieur, der in einem River-Rouge-Windkanal das Versuchsmodell eines Minivans testet. Randys Idealvorstellung ist ein gleichmäßiger, hüllenartiger Luftstrom rund um die ganze Milchpackung, der einen besseren Wärmeaustausch durch die mehrschichtige Plastik- und Aluminiumhaut des Milchkartons gewährleisten würde. Am liebsten hätte er es, wenn die Milch so kalt wäre, dass er, wenn er hineingreift und den Karton packt, fühlte, wie der flexible, quetschbare Behälter zwischen seinen Fingern fest wird, weil Eiskristalle entstehen, einfach aus dem Nichts herbeigezaubert durch die Bewegung des Zusammenquetschens.
    Heute ist die Milch annähernd, aber nicht ganz so kalt. Randy geht damit ins Wohnzimmer. Da sie so kalt ist, dass ihm die Finger wehtun, muss er sie in ein Handtuch wickeln. Er schaltet den Videorekorder ein und setzt sich hin. Alles ist bereit.
    Es ist einer aus einer Reihe von Videofilmen, die in einer leeren Basketballhalle mit gebohnertem Ahornboden und einer heulenden, unbarmherzigen Lüftungsanlage gedreht wurden. Sie zeigen einen jungen Mann und eine junge Frau, beide attraktiv, schlank und ungefähr so angezogen wie Revueprofis bei den »Ice Capades«, die zu krächzender Musik aus einem an der Freiwurflinie aufgestellten Gettoblaster einfache Gesellschaftstanzschritte vorführen. Es ist auf erbärmliche Weise deutlich, dass das Video von einem Dritten im Bunde gedreht wurde, der sich mit einem billigen Camcorder herumschlägt und an irgendeinem Innenohrdefekt leidet, den er mit anderen teilen möchte. Mit autistischer Entschlossenheit stampfen die Tänzer durch die einfachsten Schrittkombinationen. Der Kameramann fängt jedes Mal mit einer Zweier-Einstellung an und richtet seine Waffe dann wie ein Desperado, der einen Schlappschwanz peinigt, auf ihre Füße und lässt sie tanzen, tanzen, tanzen. An einer Stelle geht der Funkrufempfänger, den der Mann sich an seinen elastischen Hosenbund geklemmt hat, los und die Szene muss abgebrochen werden. Kein Wunder: Er ist einer der begehrtesten Tanzlehrer von Manila. Seine Partnerin wäre das auch, wenn nur mehr Männer in dieser Stadt Interesse an Tanzkursen hätten. Wie die Dinge liegen, muss sie sich mit etwa einem Zehntel dessen, was ihr männlicher Kollege einstreicht, begnügen, und das, indem sie einem Häuflein konfuser oder gehemmter Stoffel Tanzunterricht erteilt.
    Randy nimmt die rote Schachtel und klemmt sie sich, die praktische, wiederverschließbare Klappe von sich abgewandt, fest zwischen die Knie. Behutsam schiebt er die Fingerspitzen beider Hände gleichzeitig unter die Lasche, versucht, auf beiden Seiten denselben Druck auszuüben, und achtet dabei besonders auf die Stellen, an denen die Klebemaschine zu viel Leim aufgetragen hat. Für ein paar lange, angespannte Augenblicke passiert rein gar nichts und ein ahnungsloser oder ungeduldiger Beobachter hätte annehmen können, Randy käme überhaupt nicht weiter. Doch dann, als die gesamte Klebstoff-Front nachgibt, klappt mit einem Plopp die ganze Lasche hoch. Randy hasst es, wenn die Schachtel oben eingedrückt oder im schlimmsten Fall sogar aufgerissen wird. Die untere Klappe wird nur durch ein paar kleine Tupfer Klebstoff gehalten und als Randy sie aufzieht, wird ein lichtdurchlässiger, geblähter Beutel sichtbar. Das abwärts gerichtete Licht des in die Decke eingelassenen Halogenstrahlers scheint durch das milchige Material des Beutels hindurch und lässt Gold erkennen – überall das Glitzern von Gold. Randy dreht die Schachtel um neunzig Grad und hält sie so zwischen seinen Knien fest, dass ihre Längsachse zum Fernseher weist; dann packt er den Beutel am oberen Ende und zieht vorsichtig dessen verschweißte Naht auf, die mit einem surrenden Geräusch nachgibt. Das Entfernen der etwas milchigen Plastiksperre bewirkt, dass die einzelnen Cap’n-Crunch-Klümpchen sich unter dem Halogenlicht mit einer quasi übernatürlichen Knusprigkeit und Frische, die Randys Gaumen in freudiger Erwartung erglühen und erzittern lassen, voneinander lösen.
    Im Fernsehen sind die Tanzlehrer mit der Vorführung der Grundschritte fertig. Es tut fast weh, mitanzusehen, wie sie die Pflicht absolvieren, denn dabei müssen sie bewusst alles vergessen, was sie über die höhere Kunst des Gesellschaftstanzes wissen, und tanzen wie jemand, der Schläge auf den Kopf bekommen oder ernstere Hirnverletzungen erlitten hat, wodurch nicht nur die für die Feinmotorik

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