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Cryptonomicon

Cryptonomicon

Titel: Cryptonomicon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Neal Stephenson
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herumredet. »Ist das etwa ein Scheißdeutscher, mit dem Sie da zusammen sind?«
    »Ja, ich bin mit einem Deutschen zusammen«, sagt Root, »genau wie Sie.«
    »Und wieso macht Ihr Deutscher so ein Scheißtheater?«
    »Rudi weint um seinen toten Schatz«, sagt Root, »der bei dem Versuch, wieder mit ihm zusammenzukommen, gestorben ist.«
    »Eine Frau hat das Ding geflogen?«, fragt Shaftoe völlig verblüfft.
    Root verdreht die Augen und stößt einen Seufzer aus. »Sie haben vergessen, die Möglichkeit einzuräumen, dass Rudi homosexuell sein könnte.«
    Shaftoe braucht lange, um diese weitreichende, sperrige Vorstellung geistig zu bewältigen. Bischoff bleibt, typisch Europäer, offenbar völlig gelassen. Aber er hat trotzdem Fragen. »Enoch, warum sind Sie... hier?«
    »Warum sich, allgemein gefragt, mein Geist auf dieser Welt in einem physischen Körper inkarniert hat? Oder warum ich speziell hier in einem schwedischen Wald am Wrack eines geheimnisvollen deutschen Raketenflugzeugs stehe, während ein homosexueller Deutscher um die eingeäscherten Überreste seines italienischen Liebsten weint?«
    »Die letzte Ölung«, gibt er sich selbst die Antwort. »Angelo war Katholik.« Dann, nach einer Weile, fällt ihm auf, dass Bischoff ihn mit vollkommen unzufriedenem Gesicht anstarrt. »Ach so. Etwas umfassender betrachtet, bin ich hier, weil Mrs. Tenney, die Frau des Vikars, nachlässig geworden ist und vergessen hat, die Augen zuzumachen, wenn sie die Kugeln aus der Bingo-Maschine zieht.«

CRUNCH
    Der Verurteilte duscht, rasiert sich, zieht den größten Teil eines Anzugs an und stellt fest, dass er früher als geplant fertig ist. Er schaltet den Fernseher ein, nimmt sich ein San Miguel aus dem Kühlschrank, um seine Nerven zu beruhigen, und geht dann zu dem eingebauten Wandschrank, um die Sachen für seine Henkersmahlzeit herauszuholen. Das Apartment hat nur einen Wandschrank, und wenn dessen Tür offen steht, hat es den Anschein, als wäre er im Stil von Das Gebinde Amontillado mit sehr breiten, flachen roten Rechtecken zugemauert, von denen jedes mit dem Bild eines ehrwürdigen Marineoffiziers versehen ist, der einerseits merkwürdig fröhlich dreinschaut, zugleich aber irgendwie quälend traurig wirkt. Die ganze Palette ist vor ein paar Wochen in dem Bemühen, Randys Lebensgeister zu heben, von Avi hergeschickt worden. Soweit Randy weiß, sitzen noch mehr davon auf einem Kai im Hafen von Manila, wo sie von bewaffneten Wachposten und wörterbuchgroßen, jeweils mit einem goldenen Köder bestückten und extrem gespannten Rattenfallen umringt sind.
    Randy sucht sich eins der Rechtecke aus der Mauer aus, wodurch eine Lücke in dem Bauwerk entsteht, aber dahinter liegt ein weiteres, identisches, ebenfalls mit einem Bild desselben Marineoffiziers. Es hat den Anschein, als marschierten sie in peppiger Phalanx aus seinem Wandschrank heraus. »Der erste Teil meines kompletten, ausgewogenen Frühstücks«, sagt Randy. Dann schlägt er die Tür vor ihnen zu und geht gemessenen, ganz bewusst ruhigen Schrittes ins Wohnzimmer, wo er, den Blick auf seinen Sechsunddreißig-Zoll-Fernseher geheftet, die meisten Mahlzeiten einnimmt. Er stellt sein San Miguel, eine leere Schüssel und einen außergewöhnlich großen Suppenlöffel ab – so groß, dass er in den meisten europäischen Kulturen als Vorlegelöffel und in den meisten asiatischen als Gerät für den Gartenbau durchgehen würde. Er nimmt sich einen Stapel Papierservietten, nicht die braunen recycelten, die nicht einmal dann Feuchtigkeit aufnehmen, wenn man sie in Wasser eintaucht, sondern die unverhohlen umweltfeindliche, blütenweiße, watteweiche und unglaublich saugfähige Sorte. Er geht in die Küche, macht die Kühlschranktür auf, langt tief nach hinten und stößt auf einen ungeöffneten Verbundkarton H-Milch. Rein technisch gesehen muss H-Milch nicht gekühlt werden, aber für das, was jetzt kommt, ist es von zentraler Bedeutung, dass die Milch sich nur ein paar Mikrograd über dem Gefrierpunkt befindet. Der Kühlschrank in Randys Apartment hat hinten Luftschlitze, durch die die kalte Luft direkt von den Frigen-Kühlschlangen hereingeblasen wird. Randy stellt seine Milchkartons immer unmittelbar vor die Luftschlitze. Nicht zu nah, sonst behindern die Kartons den Luftstrom, aber auch nicht zu weit weg. Die kalte Luft wird sichtbar, wenn sie hereinweht und kondensiert, sodass es ein Leichtes ist, sich vor die geöffnete Kühlschranktür zu setzen und ihre

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