Cryptonomicon
konserviert hat. »Bist du sicher, dass es künstlich war?«, fragt er.
»Es hat geheult. Es sind Brocken davon abgefallen. Aber ich habe noch nie einen Meteor gesehen, deshalb weiß ich es nicht.«
»Wie weit weg?«
»Aufgeschlagen ist es sieben Kilometer von der Stelle, wo ich gestanden habe. Also zehn Kilometer von hier.«
»Aber zehn Kilometer sind gar nichts für einen Eagle Scout und einen Hitlerjungen!«
»Du warst nicht bei der Hitlerjugend.«
Darüber brütet Bischoff einen Moment nach. »Hitler – so peinlich. Ich habe gehofft, er würde verschwinden, wenn ich ihn ignoriere. Wenn ich in die Hitlerjugend eingetreten wäre, hätten sie mir vielleicht ein Überwasserschiff gegeben.«
»Dann wärst du jetzt tot.«
»Stimmt!« Bischoffs Laune hellt sich deutlich auf. »Zehn Kilometer sind trotzdem nichts. Gehen wir.«
»Es ist schon dunkel.«
»Wir halten einfach auf die Flammen zu.«
»Die werden schon aus sein.«
»Wir folgen der Trümmerspur, wie Hänsel und Gretel.«
»Bei Hänsel und Gretel hat das nicht geklappt. Hast du nicht mal die Geschichte gelesen, verdammt?«
»Sei nicht so defätistisch, Bobby«, sagt Bischoff und fährt in einen derben Seemannspullover. »Du bist doch sonst nicht so. Was ist dir über die Leber gelaufen?«
Glory.
Es ist Oktober und die Tage werden kürzer. Shaftoe und Bischoff, die beide die emotionalen Wellentäler der noch zu entdeckenden Jahreszeitlichen Affektstörung durchlaufen, gleichen zwei Brüdern, die in derselben Treibsandgrube feststecken und einander scharf im Auge behalten.
»Eh? Was ist los, Kumpel?«
»Ich weiß wohl einfach nicht recht, was ich mit mir anfangen soll.«
»Du brauchst ein Abenteuer. Gehen wir!«
»Ich brauche ein Abenteuer genauso dringend, wie Hitler seine hässliche kleine Rotzbremse braucht«, sagt Bobby Shaftoe. Aber er rappelt sich von seinem Stuhl hoch und folgt Bischoff zur Tür hinaus. Shaftoe und Bischoff stapfen durch den dunklen schwedischen Wald wie zwei verlorene Seelen auf der Suche nach dem Nebeneingang zum Fegefeuer. Sie tragen abwechselnd die Petroleumlaterne, deren effektive Reichweite ungefähr der Länge eines Männerarms entspricht. Manchmal gehen sie eine ganze Stunde lang, ohne zu reden, und jeder ist mit seinem Kampf gegen die selbstmörderische Depression allein. Dann rafft sich einer von ihnen (normalerweise Bischoff) auf und sagt so etwas wie:
»Hab Enoch Root schon eine ganze Weile nicht mehr gesehen. Was treibt er denn so, seit er dich von deiner Morphiumsucht kuriert hat?«
»Keine Ahnung. Bei der Geschichte ist er mir dermaßen auf den Wecker gegangen, dass ich ihn nie mehr sehen wollte. Aber ich glaube, er hat von Otto ein russisches Funkgerät gekriegt und es in den Kirchenkeller mitgenommen, in dem er haust; seither murkst er damit herum.«
»Ja. Jetzt fällt’s mir wieder ein. Er war dabei, die Frequenzen zu ändern. Hat er’s eigentlich zum Laufen gebracht?«
»Keine Ahnung«, sagt Shaftoe. »Aber wenn auf einmal große Brocken brennendes Zeug vom Himmel fallen, macht man sich schon so seine Gedanken.«
»Ja. Außerdem geht er häufig zur Post«, meint Bischoff. »Ich habe mich dort mal mit ihm unterhalten. Er korrespondiert ausgiebig mit anderen Leuten in der ganzen Welt.«
»Was für Leute?«
»Die Frage habe ich mir auch gestellt.«
Letztlich finden sie das Wrack nur dadurch, dass sie dem Geräusch einer Metallsäge folgen, das zwischen den Kiefern hindurch hallt wie das Kreischen eines außerordentlich dummen und geilen Vogels. Dies ermöglicht es ihnen, in etwa die Richtung zu halten. Die genauen Koordinaten ergeben sich aus einem plötzlich aufflammenden, stroboskopisch blitzenden Licht, einem entsetzlichen Krach und einem nach Pflanzensaft duftenden Schauer von amputiertem Blattwerk. Shaftoe und Bischoff werfen sich in den Dreck und hören zu, wie Pistolenkugeln von Baumstamm zu Baumstamm prallen. Das Geräusch der Metallsäge setzt sich fort, ohne den Rhythmus zu unterbrechen.
Bischoff fängt an, schwedisch zu reden, doch Shaftoe bringt ihn zum Schweigen. »Das war eine Suomi«, sagt er. »He, Julieta! Lass den Scheiß! Es sind bloß ich und Günter.«
Keine Antwort. Dann fällt Shaftoe ein, dass er Julieta erst kürzlich gevögelt hat und sich daher auf seine Manieren besinnen muss. »Verzeihung, Ma’am«, sagt er, »aber ich schließe aus dem Geräusch Ihrer Waffe, dass Sie der finnischen Nation angehören, für die ich grenzenlose Bewunderung hege, und ich wollte Sie
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