Cryptonomicon
kurzem vorgekommen ist, versuchen, ihn möglichst nicht wieder auszuwählen. Selbst wenn sie das Innere des Käfigs nicht sehen kann, wird sie lernen, die verschiedenen Kugeln danach zu unterscheiden, wie sie sich anfühlen – da sie aus Holz sind, wird jede Kugel ein anderes Gewicht, eine andere Maserung haben.«
Bischoff bleibt skeptisch. »Aber es wird trotzdem noch weitgehend zufällig sein!«
»Weitgehend zufällig reicht nicht!«, blafft von Hacklheber. »Ich war davon überzeugt, dass die Einmalblöcke von Abteilung 2702 eine ähnliche Zufallsverteilung haben würden wie die King-James-Bible. Und ich hatte den starken Verdacht, dass die Funksprüche Worte wie Waterhouse, Turing, Enigma, Qwghlm und Malta enthalten würden. Mithilfe meiner Geräte konnte ich einen Teil der Einmalblöcke knacken. Waterhouse hat darauf geachtet, seine Blöcke zu verbrennen, nachdem er sie einmal benutzt hatte, aber andere Angehörige der Abteilung waren nachlässig und haben ein und dieselben Blöcke immer wieder benutzt. Ich habe viele Funksprüche gelesen. Es lag auf der Hand, dass Abteilung 2702 die Aufgabe hatte, die Wehrmacht durch Verschleierung der Tatsache, dass Enigma geknackt worden war, zu täuschen.«
Shaftoe weiß, was eine Enigma ist, wenn auch nur deshalb, weil Bischoff unentwegt davon quasselt. Mit der Erklärung von Hacklheber bekommt plötzlich alles einen Sinn, was Abteilung 2702 jemals getan hat.
»Das Geheimnis ist also enthüllt«, sagt Root. »Ich nehme an, Sie haben Ihre Vorgesetzten von Ihrer Entdeckung unterrichtet?«
»Ich habe sie von überhaupt nichts unterrichtet«, knurrt von Hacklheber. »Denn zu dieser Zeit war ich längst Reichsmarschall Hermann Göring in die Falle gegangen. Ich war seine Schachfigur, sein Sklave geworden und empfand dem Reich gegenüber keinerlei Loyalität mehr.«
Es hatte um vier Uhr morgens an Rudolf von HacklhebersTür geklopft, eine Zeit, welche die Gestapo wegen ihrer psychologischen Wirkung ausnutzte. Rudi ist hellwach. Er wäre auch dann hellwach, wenn die Bomber nicht schon die ganze Nacht Berlin unter Beschuss nähmen, denn er hat seit drei Tagen nichts von Angelo gehört oder gesehen. Er wirft sich einen Bademantel über seinen Schlafanzug, schlüpft in Pantoffeln und öffnet die Wohnungstür, vor der, wie vorauszusehen, ein kleiner, vorzeitig verschrumpelter Mann, begleitet von einem Paar klassischer Gestapo-Killer in langen schwarzen Ledermänteln, steht.
»Darf ich eine Bemerkung machen?«, fragt Rudi von Hacklheber.
»Aber gewiss, Herr Professor. Sofern es sich nicht um ein Staatsgeheimnis handelt.«
»In den alten Zeiten – in der Anfangszeit -, als noch kein Mensch wusste, was die Gestapo ist, war dieses Vier-Uhr-Morgens-Spielchen raffiniert. Eine hübsche Art, die Urangst des Menschen vor der Dunkelheit auszunutzen. Aber mittlerweile schreiben wir 1942, fast schon 1943, und jeder hat Angst vor der Gestapo. Jeder. Mehr als vor der Dunkelheit.Warum arbeiten Sie also nicht am Tage? Sie bewegen sich in ausgefahrenen Gleisen.«
Die untere Gesichtshälfte des Verschrumpelten lacht. Die obere bleibt unverändert. »Ich werde Ihren Vorschlag nach oben weitergeben«, sagt er. »Aber wir sind nicht hier, um Ihnen Angst zu machen, Herr Professor. Wir sind wegen der Zugverbindungen zu dieser ungelegenen Zeit gekommen.«
»Darf ich das so verstehen, dass ich mit dem Zug fahre?«
»Sie haben ein paar Minuten Zeit«, sagt der Gestapo-Mann und zieht eine Manschette zurück, sodass eine wuchtige Schweizer Uhr zum Vorschein kommt. Dann kommt er unaufgefordert herein und beginnt, vor Rudis Bücherregal hin und her zu gehen, die Hände hinter dem Rücken verschränkt und den Oberkörper vorgebeugt, um die Titel zu entziffern. Er scheint enttäuscht darüber, dass es sich durchweg um mathematische Texte handelt – kein einziges Exemplar der Unabhängigkeitserklärung zu sehen, obwohl man natürlich nicht weiß, ob sich nicht vielleicht eine Ausgabe der Protokolle der Weisen von Zion zwischen den Seiten einer Mathematikzeitschrift versteckt. Als Rudi, angekleidet, aber noch immer unrasiert, wieder auftaucht, versucht der Mann gerade mit gequältem Gesicht Turings Abhandlung über die Universalmaschine zu lesen. Er sieht aus wie ein niedriger Primat bei dem Versuch, ein Flugzeug zu fliegen.
Eine halbe Stunde später sind sie am Bahnhof. Rudi blickt im Hineingehen zur Abfahrtstafel auf und prägt sich ihren Inhalt ein, um aus der Gleisnummer schließen zu
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