Cryptonomicon
arbeiten, müssen Sie sehen, was ich Ihnen gerade gezeigt habe, damit Sie wirklich begreifen, was auf dem Spiel steht.«
Rudi senkt den Blick, holt tief Atem und ringt sich die Worte ab: »Es wäre mir eine große Ehre, für Sie zu arbeiten, Herr Reichsmarschall. Aber da Sie Zugang zu so vielen bedeutenden Museen und Bibliotheken Europas haben, möchte ich Sie als Gelehrter ergebenst um einen kleinen Gefallen bitten.«
In dem Kirchenkeller in Norrsbruck, Schweden, stößt Rudi einen Schrei aus und lässt seine Zigarette fallen, die er, wie eine langsam glimmende Zündschnur, bis an seine Finger hat herunterbrennen lassen, während er diese Geschichte erzählte. Er führt die Hand zum Mund, saugt kurz an einem Finger, entsinnt sich dann seiner Manieren und nimmt sich zusammen. »Göring hatte erstaunlich viel Ahnung von Kryptologie und kannte meine Arbeit über die Enigma. Er traute der Maschine nicht. Er hat mir gesagt, er wolle, dass ich das beste Kryptosystem der Welt erfände, eines, das niemals geknackt werden könne – er wolle (jedenfalls hat er das gesagt) mit Unterseebooten auf See und mit Einrichtungen in Manila und Tokio kommunizieren. Also habe ich ein solches System erfunden.«
»Und Sie haben es abgeliefert«, sagt Bischoff.
»Ja«, sagt Rudi und hier gestattet er sich zum ersten Mal an diesem Tag ein leises Lächeln. »Und es ist trotz der Tatsache, dass ich es vor Ablieferung an Göring korrumpiert habe, ein recht gutes System.«
»Korrumpiert?«, fragt Root. »Was heißt das?«
»Stellen Sie sich einen neuen Flugzeugmotor vor. Stellen Sie sich vor, er hat sechzehn Zylinder. Er ist leistungsfähiger als jeder andere Motor auf der Welt. Trotzdem kann ein Mechaniker bestimmte Dinge – ganz einfache Dinge – tun, um seine Leistung zu beeinträchtigen. Zum Beispiel die Hälfte der Zündkabel herausziehen. Oder den Zündzeitpunkt verstellen. Das ist eine Analogie zu dem, was ich mit Görings Kryptosystem gemacht habe.«
»Und was ist schief gegangen?«, fragt Shaftoe. »Sind die draufgekommen, dass Sie das Ding korrumpiert haben?«
Rudolf von Hacklheber lacht. »Bestimmt nicht. Dazu wären auf der ganzen Welt vielleicht ein halbes Dutzend Leute in der Lage. Nein, schief gegangen ist, dass ihr, ihr Alliierten, in Sizilien und dann in Italien gelandet seid, und kurz danach wurde Mussolini gestürzt, die Italiener kündigten das Bündnis auf und Angelo geriet, wie alle anderen italienischen Staatsbürger, die zu Hundertausenden im Reich lebten und arbeiteten, in Verdacht. Als Testpilot wurde er dringend gebraucht, aber seine Lage war prekär. Er meldete sich freiwillig für die gefährlichste Arbeit, die es gab – die Erprobung des neuen Messerschmitt-Prototyps mit Turbotriebwerk. Damit hat er für manche seine Loyalität unter Beweis gestellt.
Vergessen Sie nicht, dass ich zur gleichen Zeit den Funkverkehr von Abteilung 2702 entschlüsselt habe. Die Ergebnisse behielt ich für mich, weil ich dem Dritten Reich gegenüber keine besondere Loyalität mehr empfand. Um Mitte April herum hatte ungeheuer intensiver Funkverkehr stattgefunden, dann herrschte eine Zeit lang völlige Funkstille – als hätte die Abteilung zu bestehen aufgehört. Genau zur gleichen Zeit waren Görings Leute ein paar Tage lang sehr aktiv – sie hatten Angst, dass Bischoff das Geheimnis von U-553 ausposaunen würde.«
»Davon wissen Sie also?«, fragt Bischoff.
»Natürlich. U-553 war Görings Schatzschiff. Seine Existenz sollte geheim bleiben. Als Sie, Sergeant Shaftoe, an Bord von Bischoffs Unterseeboot auftauchten und von der Geschichte redeten, war Göring ein paar Tage lang sehr besorgt. Aber dann beruhigte sich alles wieder und es fand bis zum Frühsommer keinerlei Funkverkehr von Abteilung 2702 statt. Mussolini wurde Ende Juni gestürzt. Damit nahmen die Probleme für mich und Angelo ihren Anfang. Die Wehrmacht wurde bei Kursk von den Russen geschlagen – ein eindeutiger Beweis dafür, dass die Ostfront verloren war, falls es eines solchen Beweises überhaupt noch bedurfte. Seither hat Göring seine Anstrengungen verdoppelt, sein Gold, seine Edelsteine und seine Kunstwerke außer Landes zu schaffen.« Rudi sieht Bischoff an. »Es überrascht mich, ehrlich gesagt, dass er nicht versucht hat, Sie zu rekrutieren.«
»Dönitz hat es versucht«, gibt Bischoff zu.
Rudi nickt; es passt alles zusammen.
»In der ganzen Zeit«, fährt Rudi fort, »habe ich nur einen einzigen abgehörten Funkspruch im Code von
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