Cryptonomicon
Abteilung 2702 bekommen. Meine Maschinen haben mehrere Wochen gebraucht, um ihn zu entschlüsseln. Es war ein Funkspruch von Enoch Root, in dem er meldete, dass er und Sergeant Shaftoe sich in Norrsbruck, Schweden, befänden, und weitere Anweisungen erbat. Ich wusste, dass sich Kapitänleutnant Bischoff ebenfalls in dieser Stadt befand und das weckte mein Interesse. Ich kam zu dem Schluss, dass das ein guter Fluchtort für mich und Angelo wäre.«
» Wieso!?«, fragt Shaftoe. »Ausgerechnet -«
»Enoch und ich waren uns nie begegnet. Aber es gab gewisse alte Familienverbindungen«, sagt Rudi, »und gewisse gemeinsame Interessen.«
Bischoff murmelt etwas auf Deutsch.
»Diese Verbindungen ergäben eine ellenlange Geschichte. Ich müsste praktisch ein Buch darüber schreiben«, sagt Rudi gereizt.
Bischoff wirkt nur wenig besänftigt, aber Rudi fährt dennoch fort. »Wir brauchten mehrere Wochen, um Vorbereitungen zu treffen. Ich habe das Leibniz-Archiv verpackt -«
»Moment – das was?«
»Bestimmte Materialien, die ich bei meinen Forschungen benutze. Sie waren über zahlreiche Bibliotheken in ganz Europa verstreut. Göring hat sie für mich zusammentragen lassen – es verschafft Männern wie ihm ein Machtgefühl, ihren Sklaven solche kleinen Gefallen zu erweisen. Letzte Woche bin ich unter dem Vorwand, nach Hannover zu fahren, um meinen Leibniz-Forschungen nachzugehen, von Berlin abgereist. Stattdessen habe ich mich über Kanäle, die ziemlich kompliziert waren, nach Schweden durchgeschlagen -«
»Ach nee! Wie haben Sie denn das Kunststück fertig gebracht?«, fragt Shaftoe.
Rudi sieht Enoch Root an, als erwarte er von ihm, dass er die Frage beantwortet. Root schüttelt fast unmerklich den Kopf.
»Es wäre zu umständlich, das jetzt zu erklären«, sagt Rudi in leicht verärgertem Ton. »Ich habe Enoch ausfindig gemacht. Wir haben Angelo davon benachrichtigt, dass ich hier in Sicherheit bin. Daraufhin hat Angelo versucht, in dem Messerschmitt-Prototyp zu fliehen – mit dem uns allen bekannten Ergebnis.«
Langes Schweigen.
»Und nun sind wir hier!«, sagt Bobby Shaftoe.
»Hier sind wir«, pflichtet Rudolf von Hacklheber bei.
»Was meinen Sie, was wir jetzt machen sollen?«, fragt Shaftoe.
»Ich meine, wir sollten uns konspirativ zusammenschließen«, sagt Rudolf von Hacklheber so lässig, als schlüge er vor, sie sollten für eine Flasche Bourbon zusammenlegen. »Wir sollten uns alle auf getrennten Wegen nach Manila begeben, und sobald wir dort sind, sollten wir einiges, wenn nicht alles, von dem Gold an uns bringen, das die Nazis und die Japaner dort horten.«
»Was wollen Sie denn mit einem Arsch voll Gold?«, fragt Bobby. »Sie sind doch schon reich.«
»Es gibt viele unterstützenswerte karitative Zwecke«, sagt Rudi mit einem angelegentlichen Blick auf Root. Root wendet den Blick ab.
Erneut folgt langes Schweigen.
»Ich kann für sichere Kommunikationsverbindungen sorgen, was das sine qua non jeder Verschwörung ist«, sagt Rudolf von Hacklheber. »Wir werden die voll leistungsfähige, nicht korrumpierte Version des Kryptosystems, das ich für Göring erfunden habe, verwenden. Bischoff kann unser Mann im Innern sein, da Dönitz ihn unbedingt haben möchte. Sergeant Shaftoe kann -«
»Sie brauchen gar nichts zu sagen, ich weiß es schon«, sagt Bobby Shaftoe.
Er und Bischoff sehen Root an, der auf seinen Händen sitzt und Rudi anstarrt. Und merkwürdig nervös dreinschaut.
»Enoch der Rote, Ihre Organisation kann uns nach Manila bringen«, sagt von Hacklheber.
Shaftoe schnaubt. »Meinen Sie nicht, dass die Katholische Kirche im Moment genug um die Ohren hat?«
»Ich spreche nicht von der Kirche«, sagt Rudi. »Ich spreche von der Societas Eruditorum.«
Root erstarrt.
»Herzlichen Glückwunsch, Rudi!«, sagt Shaftoe. »Sie haben den Padre überrascht. Ich hätte nicht gedacht, dass das möglich ist. Könnten Sie uns jetzt vielleicht sagen, wovon zum Teufel Sie eigentlich reden?«
SCHATZ
Wie der Kunde eines weniger seriösen Kugelfisch-Sushi-Küchenmeisters rührt sich Randy Waterhouse geschlagene neunzig Minuten nach dem Abflug des Jumbo von Ninoy Aquino International Airport nicht von dem ihm zugewiesenen Platz. Seine Hand hat sich um eine Bierdose geschmiegt. Sein Arm ruht auf einer extrabreiten Business-Class-Armlehne wie eine Hachse auf dem Hackklotz eines Fleischers. Er dreht weder den Kopf noch die Augäpfel, nicht einmal, um aus dem Fenster nach Nordluzon hinunterzuschauen. Da
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