Cryptonomicon

meiner Erleichterung waren weder DMS noch Bong-Bong scharf darauf, sich im Dunkeln über gewundene Kordillerenstraßen zu wagen. Wir übernachteten in einem Guesthouse. Da ich viel Zeit auf die detaillierte Beschreibung des Schweinetransporters verwandt habe, will ich an dieser Stelle diverse Einzelheiten über San Jose, seine Einwohner (Angehörige verschiedener taxonomischer Stämme, von denen ich manchen bis zu dieser Nacht noch nie begegnet war), die charakterbildende Art unserer Unterkunft und insbesondere deren kurioses Leitungssystem, das der Phantasie, nicht jedoch dem hydrostatischen Scharfsinn seines anonymen Erbauers zur Ehre gereichte, weglassen. Es war die Art Herberge, die im Reisenden den dringenden Wunsch aufkommen lässt, am nächsten Morgen in aller Herrgottsfrühe Hals über Kopf abzureisen, was wir auch taten.
    Nun eine Bemerkung über die physikalischen Eigenschaften des Raumes, wie sie von Menschen, die in Körpern mit beschränkten physikalischen Möglichkeiten gefangen sind, wahrgenommen werden. Mir ist schon vor langer Zeit aufgefallen, dass der Raum an manchen Orten dichter, verwickelter, psychisch irgendwie GRÖSSER zu sein scheint als an anderen. Im vollkommen offenen Brachland im Zentrum von Washington State eine Entfernung von fünf bis sechs Kilometern zurückzulegen ist ein Leichtes und dauert zu Fuß weniger als eine Stunde, und wenn man irgendein Fahrzeug hat, nur ein paar Minuten. Dieselbe Entfernung in Manhattan zurückzulegen, dauert viel länger. Das liegt nicht einfach daran, dass der Raum rein physikalisch gesehen eher voll gestopft ist (wenngleich das sicher zutrifft), sondern dass es so etwas wie einen psychologischen Einfluss gibt, der die Art und Weise, wie man Entfernung wahrnimmt und erlebt, verändert. Man kann nicht so weit sehen, und was man sieht, ist voll mit Leuten, Gebäuden, Waren, Fahrzeugen und anderen Sachen, die einzuordnen, zu verarbeiten das Gehirn eine ganze Weile braucht. Selbst wenn man eine Art Zauberteppich hätte, der an all den physikalischen Hindernissen vorbeiflöge, erschiene einem diese Strecke viel länger und man bräuchte länger, um sie zu überwinden, einfach, weil der Geist sich mit viel mehr Dingen auseinander setzen müsste. Dasselbe gilt für dschungelartiges Gelände im Gegensatz zur freien Ebene. Den physikalischen Raum zu durchqueren ist im Grunde ein fortwährender Kampf gegen Hunderte verschiedener Gegner, von denen jeder für den Reisenden ein Hindernis, eine Gefahr oder beides darstellt. Gleichgültig, welches von beiden in einem bestimmten Gebiet von zehn Quadratmetern Fläche vorherrscht, man ist auf jeden Fall dumm dran, was die Durchquerung dieser zehn Quadratmeter betrifft. Es führen Straßen durch den Dschungel, aber selbst wenn sie in gutem Zustand sind, erscheinen sie einem wie Engpässe und nicht wie Bewegungsvektoren, und sie sind nie in gutem Zustand… Schlammpfützen, umgestürzte Bäume, riesige Schlaglöcher und dergleichen mehr blockieren sie alle paar hundert Meter. Zudem ist hier derselbe Wahrnehmungsmechanismus am Werk… in keine Richtung kann man weiter als ein paar Meter sehen, und was man sieht, ist eine Vielfalt visueller Inputs, von denen manche, wie zum Beispiel Schmetterlinge (okay, okay), durchaus schön sind. Ich erwähne dies alles, weil ich weiß, dass jeder, der es liest, vermutlich mehrere Karten von Luzon an der Wand oder im Computer hat, die, wenn man sie konsultiert, den Eindruck vermitteln, als hätten wir es hier mit einem unbedeutend kleinen Gebiet zu tun und nur kürzeste Distanzen zu überwinden. Stattdessen müsst ihr versuchen, euch vorzustellen, dass Luzon in Wirklichkeit so groß ist wie, sagen wir, die Vereinigten Staaten westlich des Mississippi. Hinsichtlich der Zeit, die man braucht, um einmal herum zu kommen, ist es mindestens so groß. Wenn ich das erwähne, dann nicht, um euch etwas vorzujammern und euch allen zu zeigen, wie eifrig ich gearbeitet habe, sondern weil ihr, solange ihr nicht die zentrale Bedeutung der wirklich gewaltigen Ausmaße dieses Teils der Welt verstanden habt, nicht imstande sein werdet, die verblüffenden Fakten zu glauben, die ich hier nach und nach enthülle.
    Wir fuhren in die Berge. Gegen Mittag stießen wir zum ersten Mal auf eine Straßensperre des Militärs. Vom kartographischen Gesichtspunkt aus war die von San Jose bis hierher zurückgelegte Entfernung lächerlich kurz, was aber die kreativ bewältigten unvermuteten Auseinandersetzungen, die unter