Cryptonomicon
kleiner Colleges: eines, das vom Staat Kalifornien gegründet wurde, und zweier weiterer, deren Gründer, protestantische Sekten, von den meisten Mitgliedern ihres Lehrkörpers heute öffentlich geschmäht werden. Zusammengenommen bilden diese drei Colleges – die Three Siblings oder »Drei Geschwister« – ein akademisches Zentrum mittlerer Bedeutung. Ihre Computersysteme sind zu einem vernetzt. Sie tauschen Lehrkräfte und Studenten aus. Gelegentlich sind sie Gastgeber wissenschaftlicher Tagungen. Dieser Teil Kaliforniens hat Strände, Berge, Rotholzwälder, Weinberge, Golfplätze und massenhaft riesige Strafvollzugsanstalten. Es gibt jede Menge Dreiund Vier-Sterne-Hotelzimmer und zusammengenommen verfügen die Three Siblings über genügend Hörsäle und Seminarräume, um eine Konferenz mit mehreren tausend Teilnehmern zu beherbergen.
Avis Anruf vor ungefähr achtzig Stunden kam mitten in einer wichtigen interdisziplinären Konferenz mit dem Titel »Die Zwischenphase (1939-45) im globalen Hegemoniestreit des zwanzigsten Jahrhunderts (christlicher Zeitrechnung)«. Das ist ein ziemlicher Bandwurm, weshalb man kurz und bündig von »Krieg als Text« spricht.
Die Leute kommen aus Städten wie Amsterdam und Mailand. Das Organisationskomitee der Konferenz – darunter Randys Freundin Charlene, die jetzt allerdings eher den Eindruck erweckt, seine Ex -Freundin zu sein – hat einen Künstler aus San Francisco damit beauftragt, ein Plakat zu entwerfen. Als Grundlage nahm dieser das schwarzweiße Halbtonfoto eines abgezehrten Infanteristen aus dem Zweiten Weltkrieg, dem eine Zigarette von der Unterlippe hing. Dieses Bild überarbeitete er mithilfe eines Fotokopierers, indem er die Halbtonpunkte zu unförmigen Flecken aufblähte, wie von einem Hund zerkaute Gummibälle, und es allen möglichen anderen Verformungen unterzog, bis es verblüffend nackt, eindrucksvoll und zerklüftet wirkte; die blassen Augen des Soldaten wurden unheimlich weiß. Dann fügte er ein paar Farbelemente hinzu: roten Lippenstift, blauen Lidschatten und die Andeutung eines roten Büstenhalterträgers, der unter dem aufgeknöpften Uniformhemd des Soldaten hervorlugte.
Kaum herausgekommen, gewann das Plakat irgendeinen Preis. Die entsprechende Pressemitteilung hatte zur Folge, dass es von den Medien zum offiziellen Gegenstand der Kontroverse erkoren wurde. Einem rührigen Journalisten gelang es, den Soldaten, der auf dem Originalfoto abgebildet war, ausfindig zu machen – einen dekorierten ehemaligen Frontkämpfer und pensionierten Werkzeug- und Formenmacher, der zufällig nicht nur noch lebte, sondern sich bester Gesundheit erfreute und, seit seine Frau an Brustkrebs gestorben war, seinen Ruhestand damit zubrachte, in seinem Lieferwagen den tiefen Süden zu durchstreifen und beim Wiederaufbau schwarzer Kirchen zu helfen, die von betrunkenen Barbaren in Brand gesteckt worden waren.
Darauf gestand der Künstler, der das Plakat entworfen hatte, dass er das Foto einfach aus einem Buch kopiert und sich erst gar nicht um die Genehmigung dazu bemüht habe – die Vorstellung, man müsse um Erlaubnis fragen, bevor man die Arbeit anderer Leute verwende, sei ohnehin falsch, da jegliche Kunst sich von anderer Kunst herleite. Hochkarätige Prozessanwälte fielen wie Sturzkampfbomber in die kleine Stadt in Kentucky ein, wo der geschädigte Veteran, ein Bündel Nägel im Mund, oben auf dem Dach einer schwarzen Kirche saß, Sperrholzplatten für den Außenbereich festhämmerte und, an eine Horde von Reportern unten auf dem Rasen gewandt, »Kein Kommentar« murmelte. Nach längeren Verhandlungen in einem Raum im Holiday Inn der Stadt erschien der Kriegsveteran in Begleitung eines der fünf berühmtesten Anwälte auf Gottes Erde und verkündete, er werde einen Zivilprozess gegen die Three Siblings anstrengen, der sie und ihre ganze Blase, sollte er Recht bekommen, in eine flache, qualmende Schramme auf der Erdkruste verwandeln würde. Die Einnahmen, versprach er, werde er zwischen den schwarzen Kirchen und verschiedenen Kriegsversehrten- und Brustkrebsforschungsgruppen aufteilen.
Das Organisationskomitee zog das Plakat aus dem Verkehr, was dazu führte, dass Tausende von Raubkopien ins World Wide Web gingen und Millionen von Menschen, die das Plakat sonst nie gesehen hätten, darauf aufmerksam wurden. Außerdem strengte es einen Prozess gegen den Künstler an, dessen finanzielle Verhältnisse sich auf der Rückseite eines Fahrkartenkontrollabschnitts berechnen
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