Cryptonomicon
eine ganze Menge Zufallszahlen, und die müssen sehr, sehr zufällig sein. Es nimmt also einigermaßen zufällige Zahlen und gibt sie in Hash-Funktionen ein, die sie wesentlich zufälliger machen. Über die Ergebnisse lässt es Statistikroutinen laufen, um sicherzustellen, dass sie keine versteckten Muster enthalten. Es besitzt atemberaubend hohe Normen für Zufälligkeit und wird Randy so lange auffordern, in die Tastatur zu hämmern, bis diese Normen erfüllt sind.
Je länger der Schlüssel ist, den man generieren will, umso länger dauert es. Randy versucht, einen zu generieren, der lächerlich lang ist. In einer verschlüsselten E-Mail-Nachricht hat er Avi darauf aufmerksam gemacht, dass, wenn jedes Materieteilchen des Universums dazu verwendet werden könnte, einen einzigen kosmischen Supercomputer zu bauen, und dieser Computer einen 4096-Bit-Geheimschlüssel knacken sollte, mehr als die Lebensdauer des Universums dazu nötig wäre.
»Mit heutiger Technologie«, schoss Avi zurück, »das stimmt. Aber was ist mit Quanten-Computern? Und was, wenn neue mathematische Techniken entwickelt werden, die das Faktorisieren von großen Primzahlen erleichtern?«
»Wie lange möchtest du denn, dass diese Nachrichten geheim bleiben?«, fragte Randy in seiner letzten Botschaft, bevor er San Francisco verließ. »Fünf Jahre? Zehn Jahre? Fünfundzwanzig Jahre?«
Gleich nachdem er an diesem Nachmittag im Hotel angekommen war, hat Randy Avis Antwort entschlüsselt und gelesen.Wie das Nachbild eines Stroboskopblitzes hängt sie immer noch vor seinen Augen:
Ich möchte, dass sie so lange geheim bleiben, wie Menschen fähig sind, Böses zu tun.
Endlich piept der Computer. Randy lässt seine müde Hand ruhen. Ordo teilt ihm höflich mit, es werde jetzt vermutlich eine Weile beschäftigt sein, und macht sich dann ans Werk. Es durchsucht den Kosmos der reinen Zahlen auf zwei große Primzahlen hin, die miteinander multipliziert eine 4096 Bit lange Zahl produzieren.
Wenn man Geheimnisse über seine eigene Lebenserwartung hinaus geheim halten will, muss man, um die richtige Schlüssellänge zu wählen, Futurist sein. Man muss voraussehen, um wie viel schneller Computer in dieser Zeit werden. Außerdem muss man Politikwissenschaft studiert haben. Sollte nämlich die ganze Welt ein Polizeistaat werden, der auf Biegen und Brechen alte Geheimnisse aufdecken will, müssten erhebliche Ressourcen auf das Problem der Faktorisierung von Primzahlen verwendet werden.
Die Länge des Schlüssels, den man benützt, ist also an sich schon eine Art Code. Ein kluger Lauscher in Staatsdiensten, dem auffällt, dass Randy und Avi einen 4096-Bit-Schlüssel verwenden, wird sich einen der folgenden Reime darauf machen:
- Avi weiß nicht, wovon er redet. Das kann mit einem kurzen Blick auf seine bisherigen Leistungen ausgeschlossen werden. Oder
- Avi ist klinisch paranoid. Auch das kann aufgrund geringer Nachforschungen ausgeschlossen werden. Oder
- Avi ist ausgesprochen optimistisch, was die zukünftige Entwicklung der Computertechnologie angeht, oder pessimistisch in Bezug auf das politische Klima, oder beides. Oder
- Avi besitzt einen Planungshorizont, der sich über eine Zeitspanne von mindestens einem Jahrhundert erstreckt.
Randy läuft in seinem Zimmer hin und her, während sein Computer durch das All der Zahlen rast. Die Schiffscontainer hinten auf den Sattelschleppern tragen genau dieselben Logos wie die, die immer die Straßen von South Seattle verstopften, wenn ein Schiff gelöscht wurde. Das erfüllt Randy mit einer eigenartigen Zufriedenheit, so als hätte er mit diesem verrückten Satz über den Pazifik eine Art antipodale Symmetrie in sein Leben gebracht. Von da, wo die Dinge konsumiert werden, ist er an den Ort ihrer Produktion gegangen, von einem Land, in dem die Selbstbefriedigung auf den höchsten Ebenen der Gesellschaft zum Heiligtum erklärt wurde, in eins, wo Autofenster Aufkleber mit »NEIN zur Empfängnisverhütung!« tragen. Das erscheint ihm auf seltsame Weise stimmig. Dieses Gefühl hat er nicht mehr gehabt, seit Avi und er vor zwölf Jahren ihre erste zum Scheitern verurteilte Firma gründeten.
Randy wuchs in einer Collegestadt im Osten des Staates Washington auf, machte an der University of Washington in Seattle Examen und ergatterte einen Job als Schreibkraft Nummer zwei in der dortigen Bibliothek – genauer gesagt in der Fernleihe -, wo seine Aufgabe darin bestand, eingehende Ausleihanfragen von kleineren
Weitere Kostenlose Bücher