Cryptonomicon
der Gebrauchsanweisung nach. Dass sie in russischer Sprache verfasst ist, spielt keine Rolle, da sie sich ohnehin an Analphabeten richtet. Es sind eine Reihe von Parabeln darin eingezeichnet, deren eines Ende auf dem Mörser und deren anderes auf explodierenden Deutschen ruht. Man fordere einen sowjetischen Ingenieur auf, ein Paar Schuhe zu entwerfen, und er wird etwas konstruieren, das aussieht wie die Kartons, in denen die Schuhe geliefert werden; man fordere ihn auf, etwas zu bauen, was Deutsche massakriert, und er wird sich in Thomas Edison verwandeln. Shaftoe sucht das Gelände ab, entscheidet sich für einen Zielbereich, klettert dann die Mauer hoch und schreitet die Entfernung ab, wobei er von einem Meter pro Schritt ausgeht.
Er ist wieder unten am Strand und stellt gerade den Winkel des Rohrs ein, als ihn eine unförmige Gestalt erschreckt, die so nahe bei ihm über die Mauer gesprungen kommt, dass sie ihn beinahe umwirft. Root atmet rasch. »Deutsche«, sagt er, »sie kommen von der Hauptstraße her.«
»Woher wollen Sie wissen, dass es Deutsche sind? Vielleicht ist es Otto.«
»Die Motoren hören sich wie Diesel an. Die Hunnen lieben Diesel.«
»Wie viele Motoren?«
»Wahrscheinlich zwei.«
Wie sich herausstellt, liegt Root genau richtig. Aus dem Wald tauchen, wie schlechte Ideen aus dem trüben Verstand eines grünen Leutnants, zwei große schwarze Mercedes auf. Ihre Scheinwerfer sind nicht eingeschaltet. Sie halten an und nach kurzer Pause gehen leise die Türen auf, Deutsche steigen aus und richten sich auf. Einige haben lange schwarze Ledermäntel an. Einige tragen diese prima Maschinenpistolen, die das Markenzeichen der deutschen Infanterie und der Neid der Yanks und Tommies sind, die sich mit urzeitlichen Jagdgewehren abquälen müssen.
Das also ist der Moment. Gleich da drüben sind Nazis und es ist Bobby Shaftoes, und in geringerem Maße auch Enoch Roots, Aufgabe, sie alle umzubringen. Eigentlich nicht bloß eine Aufgabe, sondern ein moralisches Erfordernis, denn sie sind die lebendigen Verkörperungen Satans, die sich auch noch offen zu ihrer Schlechtigkeit und Gemeinheit bekennen. Es ist eine Welt, und eine Lage, an die Shaftoe und eine Menge anderer Leute vollkommen angepasst sind. Er hievt eine Granate aus der Kiste, führt sie in die Mündung des dicken Rohrs ein, lässt sie los und hält sich die Ohren zu.
Der Mörser rumst wie eine Kesselpauke. Die Deutschen schauen zu ihnen herüber. Ein Offiziersmonokel schimmert im Mondlicht. Aus den beiden Autos sind insgesamt acht Deutsche ausgestiegen. Drei davon müssen Kampferfahrung haben, denn sie liegen in einer Mikrosekunde auf dem Bauch. Die in Trenchcoats steckenden Offiziere bleiben stehen, genau wie zwei Halunken in Zivil, die mit ihren Maschinenpistolen sofort das Feuer in die ungefähre Richtung von Shaftoe und Root eröffnen. Das macht zwar viel Lärm, beeindruckt Shaftoe aber nur insofern, als es sich um eine beeindruckende Zurschaustellung von Dummheit handelt. Die Kugeln sausen weit über ihre Köpfe hinweg. Die Mörsergranate explodiert, noch ehe die Geschosse Zeit gehabt haben, den Bottnischen Meerbusen zu durchlöchern.
Shaftoe lugt über die Mauer.Wie von ihm mehr oder weniger erwartet, sind sämtliche Männer, die sich eben noch in der Vertikalen befanden, über den nächststehenden Mercedes drapiert, nachdem ein heransausender Schrapnellvorhang sie von den Beinen gerissen und zur Seite geschleudert hat. Zwei der Überlebenden jedoch – die Kampferfahrenen – robben auf Ottos Hütte zu, deren dicke Balkenwände unter den obwaltenden Umständen äußerst Vertrauen erweckend aussehen. Der dritte Überlebende ballert mit seiner Maschinenpistole herum, hat aber keine Ahnung, wo Shaftoe und Root sich befinden.
Das Gelände ist stark gewölbt, sodass die beiden robbenden Deutschen schwer zu erkennen sind. Shaftoe feuert ohne große Wirkung noch zwei Granaten ab. Er hört, wie die beiden Deutschen die Tür von Ottos Hütte eintreten.
Da es sich um eine Einzimmerhütte handelt, wäre es schön, in diesem Moment mit Handgranaten bewaffnet zu sein. Aber Shaftoe hat keine und will die Bude eigentlich sowieso nicht in die Luft jagen. »Warum machen Sie nicht den einen Deutschen da oben kalt«, sagt er zu Root und schiebt sich dann, immer dicht an der Mauer, falls die Deutschen zum Fenster hinausschauen, den Strand entlang.
Und tatsächlich schlagen die Deutschen, als er schon fast da ist, die Fenster heraus und schießen in
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