Cryptonomicon
schon jetzt, dass sie dort nicht mehr ausziehen wird. Seine Sachen sind alle entweder in Manila oder bei Avi im Keller und die noch strittigen Gegenstände in einem Container am Stadtrand.
Den größten Teil des vergangenen Abends hat Randy damit verbracht, in der Stadt bei verschiedenen alten Freunden vorbeizufahren, um zu sehen, ob bei ihnen alles in Ordnung ist. Amy hat ihn mit voyeuristischem Interesse auf dieser Reise durch sein früheres Leben begleitet und die Dinge unter gesellschaftlichem Aspekt ins Unermessliche kompliziert. Jedenfalls sind sie nach Einbruch der Dunkelheit zurückgekommen und Randy hat erst jetzt die Möglichkeit, sich den Schaden bei Tageslicht anzuschauen. Wieder und wieder umkreist er das Haus, fast bis zum Kichern amüsiert darüber, wie perfekt zerstört es ist, macht Aufnahmen mit einer Wegwerfkamera, die er sich von Marcus Aurelius Shaftoe ausgeborgt hat, und hält nach Dingen Ausschau, die gegebenenfalls noch Geld wert sein könnten.
Das Steinfundament des Hauses ragt drei Meter aus der Erde heraus. Seine Holzwände waren zwar darauf aufgebaut, aber nicht richtig damit verbunden (früher eine gängige Praxis, die, als Randy sich aus dem Staub machte, auf seiner Liste von Dingen stand, die er vor dem nächsten Erdbeben in Ordnung bringen wollte). Als die Erde am Vortag um vierzehn Uhr sechzehn von einer Seite zur anderen zu schwanken begann, schwankte das Fundament gleich mit, aber das Haus wollte an seinem Platz stehen bleiben. Schließlich rutschte das Fundament einfach unter dem Haus weg, dessen eine Ecke einen Meter tief hinabstürzte.Wahrscheinlich könnte Randy die kinetische Energie, die das Haus während des Falls entwickelte, schätzen und in die entsprechende Menge Dynamit oder die nötigen Schwünge der Abrissbirne umrechnen, aber das wäre völlig hirnrissig, sieht er doch mit eigenen Augen, welche Folgen das Ganze gehabt hat. Nur so viel: Als das Haus auf den Boden krachte, wurde die ganze Struktur aufs Heftigste erschüttert. Die parallelen, vorher hochkant stehenden Deckenbalken in den Böden kippten zur Seite, klappten wie Dominosteine um. Fensterund Türrahmen wurden im Handumdrehen zu Parallelogrammen, so dass das ganze Glas zerbrach und vor allem die gesamte Bleiverglasung in Stücke ging. Die Wendeltreppe fiel in den Keller. Der Schornstein, dessen Fugen schon vor einer Weile hätten neu vergipst werden müssen, verstreute seine Ziegelsteine über den ganzen Hof. Der größte Teil der Installation wurde zerstört, was bedeutet, dass die Heizung, da im Haus Radiatoren verwendet wurden, der Vergangenheit angehört. Überall fiel der Putz vom Laschendraht, tonnenweise alter Rosshaarputz, der einfach aus den Wänden und Decken herausplatzte und sich mit dem Wasser aus den zerborstenen Leitungen zu einem grauen Schlamm vermischte, der in den tiefer gelegenen Ecken der Räume fest wurde. Die handgemalten italienischen Kacheln, die Charlene für die Bäder ausgesucht hatte, sind zu fünfundsiebzig Prozent zerbrochen. Die Granittheken in der Küche sind jetzt zerfurchte tektonische Gebilde. Ein paar von den größeren Geräten sehen reparabel aus, allerdings war sowieso noch unklar, wem sie gehörten.
»Kann man nur noch abreißen, Sir«, sagt Robin Shaftoe. Er hat sein ganzes Leben in Wohnwagen und Hütten in irgendeiner Stadt in den Bergen Tennessees verbracht, besitzt aber dennoch genügend Sinn für Immobilien, um das zu ahnen.
»Wollten Sie noch irgendetwas aus dem Keller holen, Sir?«, fragt Marcus Aurelius Shaftoe.
Randy lacht. »Da unten steht ein Aktenschrank..., halt, warte!« Er streckt die Hand aus und legt sie auf Marcus’ Schulter, um zu verhindern, dass er ins Haus rennt und sich wie Tarzan in das Treppenloch stürzt. »Der Grund, warum ich ihn haben wollte, ist, dass er jede einzelne Quittung für jeden Penny, den ich in dieses Haus gesteckt habe, enthält. Weißt du, als ich es gekauft habe, war es eine Ruine, ungefähr so wie jetzt. Vielleicht nicht ganz so schlimm.«
»Brauchen Sie diese Papiere für Ihre Scheidung?«
Randy bleibt stehen und räuspert sich leicht genervt. Schon fünfmal hat er ihnen erklärt, dass er nicht mit Charlene verheiratet war und es deshalb nicht um Scheidung geht. Aber die Vorstellung, mit einer Frau, mit der man nicht verheiratet ist, zusammenzuleben, ist dem Tennessee-Zweig der Shaftoes so peinlich, dass die Jungen überhaupt nicht damit umgehen können und weiterhin von »Ihrer Ex-Frau« und »Ihrer Scheidung«
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