Cryptonomicon
anderen Weg einschlägt.
Er verkörpert (das wird ihm jetzt klar) für viele Frauen so ungefähr den schlimmsten Albtraum dessen, was in ihrem Leben passieren könnte. Und die Männer, die er am Abend zuvor gesehen hat, haben sich alle mehr oder minder dazu hinreißen lassen, die wie auch immer geartete Haltung ihrer Frauen zu unterstützen. Manche von ihnen sahen es offensichtlich wirklich ähnlich. Andere beäugten ihn mit unverhohlener Neugier. Seltsamerweise waren ausgerechnet die Typen von der Modern Language Association, die doch meinten, dass alles relativ sei und zum Beispiel Polygamie dieselbe Berechtigung habe wie Monogamie, diejenigen, die den strengsten und an den Moralvorstellungen des Alten Testaments ausgerichteten Ton anschlugen. Den freundlichsten und aufrichtigsten Empfang von allen bereiteten ihm Scott, ein Chemieprofessor, und Laura, eine Kinderärztin, die, als sie Randy und Charlene schon viele Jahre kannten, Randy eines Tages ganz im Vertrauen verrieten, dass sie ohne Wissen der gesamten Akademikergemeinde ihre drei Kinder jeden Sonntag in die Kirche verfrachteten und sie sogar alle hatten taufen lassen.
Randy hatte sie einmal in ihrem Haus besucht, um Scott dabei zu helfen, eine frisch instand gesetzte Badewanne mit Klauenfüßen die Treppe hinaufzuhieven, und hatte gesehen, dass sie das Wort GOTT auf richtiges Papier geschrieben an die Wände ihres Hauses geklebt hatten – zum Beispiel an die Kühlschranktür und an die Wände der Kinderzimmer, wo normalerweise Kunstwerke der Kinder ihren Platz haben. Kleine Arbeiten, die sie zum Zeitvertreib während der Sonntagsschule gemacht hatten – aus Malbüchern ausgerissene Seiten, die einen etwas multikulturelleren Jesus zeigten als den, mit dem Randy aufgewachsen war (z.B. mit lockigem Haar), wie er mit kleinen biblischen Kindern sprach oder im Heiligen Land verirrtes Vieh auf den rechten Weg brachte. Der Anblick dieses Zeugs überall im Haus, vermischt mit normalem (das heißt weltlichem) Kram aus dem Malunterricht in der Grundschule, Batman-Postern und Ähnlichem, machte Randy schrecklich verlegen. Es war, als besuchte man angeblich kultivierte Leute und entdeckte plötzlich über ihren hochmodernen italienischen Designermöbeln ein Elvisporträt in Neon auf schwarzem Samt. Zweifelsohne eine Frage der gesellschaftlichen Klasse. Dabei waren Scott und Laura durchaus keine todernsten Zeitgenossen, noch auch hatten sie glasige Augen und Geifer vor dem Mund. Schließlich hatten sie es geschafft, über Jahre hinweg als angesehene Mitglieder einer ehrbaren akademischen Gesellschaft durchzugehen. Sie waren etwas stiller als andere und nicht bei allem und jedem dabei, aber das war letztlich normal für Leute, die versuchten, drei Kinder großzuziehen, und so kamen sie durch.
Randy und Amy hatten letzte Nacht eine geschlagene Stunde im Gespräch mit Scott und Laura verbracht; sie waren die Einzigen, die sich bemühten, Amy den Eindruck zu vermitteln, dass sie willkommen war. Randy hatte nicht die leiseste Ahnung, was diese Leute über ihn und das, was er getan hatte, dachten, aber er spürte sofort, dass das letztlich gar nicht der Punkt war , denn selbst wenn sie dachten, er hätte etwas Schlimmes getan, verfügten sie wenigstens über einen Rahmen, eine Art Verfahrenshandbuch, um mit Missetaten umzugehen. Um es in die Begriffe der UNIX-Systemverwaltung (Randys grundlegende Metapher für fast alles) zu übersetzen: Die postmodernen, politisch korrekten Atheisten glichen Leuten, die ohne jegliche Dokumentation oder Anweisung plötzlich für ein großes, wahnsinnig komplexes Computersystem (nämlich die Gesellschaft) verantwortlich waren und deren einzige Möglichkeit, das Ding am Laufen zu halten, darin bestand, mit einer Art neo-puritanischer Strenge gewisse Regeln zu erfinden und durchzusetzen, denn mit jeglicher Abweichung von dem, was sie als die Norm betrachteten, hatten sie große Schwierigkeiten. Dagegen glichen Leute, die in eine Kirche eingebunden waren, UNIX-Systemverwaltern, die zwar vielleicht nicht alles verstanden, aber doch über eine Dokumentation, ein paar FAQs und Hilfe-Programme und README-Dateien verfügten, die ihnen, wenn die Dinge aus dem Ruder liefen, eine gewisse Anleitung boten. Mit anderen Worten, sie waren in der Lage, Flexibilität zu zeigen.
»Hey! Randy!«, sagt America Shaftoe. »M.A. hupt Sie an.«
»Wieso?«, fragt Randy. Er schaut in den Rückspiegel, sieht dort die Decke des Acura und merkt, dass er tief in seinem
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