Cryptonomicon
Waterhouse trinkt den Kaffee weder, noch rührt er ihn auch nur an, aber immerhin haben seine Augen nun etwas, worauf sie sich richten können. Eine Zeit lang wandern die Augäpfel unter den zerknitterten Lidern herum wie Fliegerabwehrkanonen beim Versuch, einer Stubenfliege zu folgen, dann fixieren sie schließlich den weißen Kaffeebecher. Waterhouse räuspert sich ausgiebig, als schicke er sich an, etwas zu sagen, und im Zimmer wird es still. Es bleibt ungefähr dreißig Sekunden lang still. Dann murmelt Waterhouse etwas, das wie »Kai« klingt.
Die Stenographen notieren es synchron.
»Wie bitte?«, fragt Comstock.
Eine der Mathe-Kanonen sagt: »Möglicherweise spricht er von Coy-Funktionen. Ich meine, ich hätte so was mal gesehen, als ich ein Mathebuch für höhere Semester durchgeblättert habe.«
»Mir war so, als hätte er was von ›Quantum‹ gesagt«, sagt der andere ETC-Mensch.
»Kaffee«, sagt Waterhouse und stößt einen tiefen Seufzer aus.
»Waterhouse«, sagt Comstock, »wie viele Finger halte ich hoch?«
Nun scheint Waterhouse aufzugehen, dass noch andere Leute anwesend sind. Er macht den Mund zu und seine Nasenlöcher blähen sich, als Luft durch sie hindurchzuströmen beginnt. Er versucht, eine seiner Hände zu bewegen, stellt fest, dass er darauf sitzt, und ruckelt schwerfällig hin und her, bis sie freikommt. Er schafft es, die Augen ganz aufzumachen, sodass sich ihm ein wirklich guter, klarer Blick auf den Kaffeebecher bietet. Er gähnt, reckt sich und furzt.
»Das japanische Kryptosystem, das wir Azure nennen, ist dasselbe wie das deutsche System, das wir Pufferfish nennen«, verkündet er. »Beide hängen außerdem irgendwie mit einem anderen, neueren Kryptosystem zusammen, das ich Arethusa getauft habe. Alle drei haben etwas mit Gold zu tun. Wahrscheinlich irgendwelche Goldgewinnungs-Unternehmen. Auf den Philippinen.«
Rums! Die Stenographen treten in Aktion. Der Fotograf feuert seine Blitzlichter ab, obwohl es gar nichts zu fotografieren gibt – bloß Nerven. Comstock wirft ein waches Auge auf seine Drahttongeräte und vergewissert sich, dass die Spulen sich drehen. Es beunruhigt ihn ein wenig, wie rasch Waterhouse auf Touren kommt. Doch Menschenführung bringt unter anderem die Verpflichtung mit sich, die eigenen Ängste zu verbergen und jederzeit Selbstbewusstsein auszustrahlen. Comstock grinst und sagt: »Das hört sich so an, als wären Sie sich furchtbar sicher, Waterhouse! Ob Sie mich wohl dazu bringen könnten, dass ich den gleichen Grad von Überzeugtheit empfinde?«
Waterhouse bedenkt den Kaffeebecher mit einem Stirnrunzeln. »Na ja, es ist alles Mathematik«, sagt er. »Wenn die Mathematik hinhaut, soll man sich auch sicher sein. Darum geht es ja gerade bei der Mathematik.«
»Sie haben also eine mathematische Grundlage, auf der Sie diese Behauptung aufstellen?«
»Behauptung en«, sagt Waterhouse. »Behauptung Nummer eins ist, dass Pufferfish und Azure verschiedene Namen für dasselbe Kryptosystem sind. Behauptung Nummer zwei ist, dass Pufferfish/Azure ein Vetter von Arethusa ist. Drei: Alle diese Kryptosysteme haben mit Gold zu tun. Vier: Bergbau. Fünf: Philippinen.«
»Vielleicht könnten Sie das eben an die Tafel schreiben, während Sie vortragen«, sagt Comstock nervös.
»Aber gern«, meint Waterhouse. Er steht auf, wendet sich der Tafel zu, erstarrt ein paar Sekunden lang, dreht sich dann wieder um, stürzt sich auf den Kaffeebecher und leert ihn, ehe Comstock oder einer seiner Adjutanten ihn seinem Griff entreißen kann. Ein taktischer Fehler! Dann schreibt Waterhouse seine Behauptungen an die Tafel. Der Fotograf dokumentiert sie. Die Privates kneten ihre Fensterleder und werfen bange Blicke in Richtung Comstock.
»Haben Sie denn nun so etwas wie einen, äh, mathematischen Beweis für jede dieser Behauptungen?«, fragt Comstock. Mathematik ist nicht sein Fall, Konferenzen leiten dagegen schon, und wasWaterhouse gerade an die Tafel geschrieben hat, sieht ihm stark nach den Anfangsgründen einer Tagesordnung aus. Ohne Tagesordnung gleicht er einem Frontschwein, das ohne Karte oder Waffe im Dschungel herumrennt.
»Tja, Sir, das ist eine Möglichkeit, wie man das sehen kann«, sagt Waterhouse nach einigem Nachdenken. »Aber es ist viel eleganter, sie alle als logische Folgerungen aus ein und demselben zugrunde liegenden Theorem zu betrachten.«
»Wollen Sie damit sagen, dass es Ihnen gelungen ist, Azure zu knacken? Denn wenn es so ist, wäre ein Glückwunsch
Weitere Kostenlose Bücher