Cryptonomicon
doch der Witz dabei. Hier vergraben die Logik-Schaltungen die Daten und graben sie wieder aus!«, sagt Waterhouse. »Ich zeige es Ihnen!« Und ehe Comstock ihm befehlen kann, das sein zu lassen, hat Waterhouse einem Corporal zugenickt, der am anderen Ende des Raums steht und Ohrenschützer trägt, wie sie normalerweise nur an die Bedienungsmannschaften der allergrößten Geschütze ausgegeben werden. Der Corporal nickt und betätigt einen Schalter.Waterhouse schlägt sich die Hände auf die Ohren und grinst, wobei er für Comstocks Geschmack ein bisschen zu viel Zahnfleisch zeigt. Dann bleibt die Zeit stehen oder so etwas Ähnliches, während sämtliche Rohre mit Variationen desselben tiefen C zum Leben erwachen.
Comstock hat alle Mühe, nicht auf die Knie zu fallen; natürlich hält er sich die Ohren zu, aber der Klang kommt eigentlich nicht durch die Ohren herein, sondern dringt ihm direkt in den Körper, wie Röntgenstrahlen. Heiße Lautzungen wühlen ihm durch die Eingeweide, die Schwingung schüttelt ihm Schweißperlen von der Kopfhaut, seine Eier hüpfen herum wie mexikanische Springbohnen. Die Quecksilber-Halbmonde in sämtlichen U-Röhren bewegen sich auf und ab, öffnen und schließen die Kontakte, dies allerdings systematisch: Es ist kein ungestümes Herumschwappen, sondern eine kohärente Abfolge diskreter, kontrollierter Bewegungen, bestimmt von irgendeinem Programm.
Comstock würde seine Handfeuerwaffe ziehen und Waterhouse eine Kugel durch den Kopf jagen, aber dazu müsste er eine Hand vom Ohr nehmen. Schließlich hört es auf.
»Die Maschine hat soeben die ersten hundert Zahlen der Fibonacci-Folge berechnet«, sagt Waterhouse.
»So wie ich es verstehe, ist dieser RAM bloß der Teil, wo Sie die Daten vergraben und ausgraben«, sagt Comstock, bemüht, die höhere Harmonie seiner Stimme zu meistern und so zu klingen und sich zu verhalten, als sähe er derlei tagtäglich. »Wenn Sie dem ganzen Apparat einen Namen geben müssten, wie würden Sie ihn dann nennen?«
»Hmmm«, sagt Waterhouse. »Na ja, seine Aufgabe besteht im Grunde darin, mathematische Berechnungen durchzuführen – wie ein Rechner.«
Comstock schnaubt. »Ein Rechner ist ein Mensch.«
»Na ja... die Maschine hier benutzt für ihre Berechnungen binäre Zahlen. Ich denke, man könnte sie als digitalen Rechner bezeichnen.«
Comstock schreibt es in Blockschrift auf seinen Notizblock: DIGITALER RECHNER.
»Geht das in Ihren Bericht ein?«, fragt Waterhouse fröhlich.
Bericht?, platzt Comstock um ein Haar heraus. Das ist mein Bericht! Dann kommt ihm eine nebelhafte Erinnerung. Irgendetwas von wegen Azure. Irgendetwas von wegen Goldminen. »Ja, richtig«, murmelt er. Ja, richtig, wir haben ja Krieg. Er denkt darüber nach. »Nein. Jetzt, wo Sie’s sagen, ist es nicht mal eine Fußnote.« Er wirft einen angelegentlichen Blick auf sein Paar handverlesener Mathe-Kanonen, die den RAM anglotzen wie zwei provinzielle jüdische Schafscherer, die zum ersten Mal die Bundeslade zu Gesicht bekommen. »Die Fotos werden wir wahrscheinlich nur fürs Archiv aufheben. Sie wissen ja, wie das Militär sich mit seinen Archiven anstellt.«
Waterhouse bricht erneut in sein grässliches Gelächter aus.
»Haben Sie sonst noch etwas zu berichten, ehe wir die Besprechung beenden?«, fragt Comstock in dem verzweifelten Bemühen, ihn zum Schweigen zu bringen.
»Na ja, aufgrund dieser Arbeit sind mir ein paar neue Ideen zur Informationstheorie gekommen, die Sie vielleicht interessant finden -«
»Schreiben Sie sie zusammen. Schicken Sie sie mir.«
»Da ist noch etwas. Ich weiß nicht, ob das hier wirklich von Belang ist, aber -«
»Was denn, Waterhouse?«
»Na ja, äh... es sieht so aus, als wäre ich verlobt!«
KARAWANE
Randy hat alles, was er besaß, verloren, aber eine Entourage gewonnen. Amy hat beschlossen, dass sie, solange sie sich zufällig auf dieser Seite des Pazifiks befindet, genauso gut mit ihm in den Norden gehen könnte. Das freut ihn. Die Shaftoe-Jungs, Robin und Marcus Aurelius, betrachten sich als mit eingeladen – wie so vieles, was in anderen Familien erst lange diskutiert werden müsste, ist das offenbar selbstverständlich.
Das bedeutet jedoch zwingend, dass sie die ungefähr tausendsechshundert Kilometer nach Whitman, Washington, fahren , denn die Shaftoe-Jungs gehören nun mal nicht zu denen, die es sich leisten können, ihren Schlitten einfach auf dem Park-and-ride-Platz abzustellen, ins Flughafengebäude zu stürmen und Tickets
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