Cryptonomicon
scheint ein anderes B-Movie aus den Fünfzigern oder eine andere Movietone-Wochenschau aus den Vierzigern im Kopf zu haben, in denen ziemlich unterschiedliche Ereignisse dargestellt werden. Es herrscht noch nicht einmal Einvernehmen darüber, ob er bei der Army oder bei der Navy war, was Randy als ein ziemlich grundsätzlicher Punkt im ganzen Plot erscheint.War er in Europa oder in Asien? Auch da gehen die Meinungen auseinander. Grandma ist auf einer Schaffarm im australischen Busch aufgewachsen. Man hätte daher meinen können, dass sie irgendwann in ihrem Leben jemand war, der mit beiden Beinen fest auf der Erde stand – der Typ Frau, der sich nicht nur daran erinnern würde, welcher Waffengattung ihr verstorbener Mann angehört hatte, sondern auch in der Lage wäre, sein Gewehr vom Dachboden herunterzuholen und mit verbundenen Augen auseinander zu nehmen. Sie hatte jedoch offensichtlich etwa fünfundsiebzig Prozent ihrer Wachstunden in der Kirche (wo sie nicht nur betete, sondern auch zur Schule ging und mehr oder minder ihr ganzes gesellschaftliches Leben abwickelte) oder auf dem Hin- oder Rückweg verbracht, und ihre eigenen Eltern wollten ganz ausdrücklich nicht, dass sie am Ende auf einer Farm lebte, ihren Arm in die Vaginen von Viehzeug rammte und rohe Steaks auf die blauen Augen klatschte, die ihr irgendein Ehemann verpasst hatte. Die Landwirtschaft wäre ja noch eine angemessene Art von Trostpreis für einen oder allerhöchstens zwei ihrer Söhne gewesen, eine Art Rückzug für Sprösslinge, die durch Zufall schwere Kopfverletzungen erlitten hatten oder dem Alkohol verfallen waren. Die wahre Bestimmung der cCmndh-Kinder bestand jedoch in der Wiederherstellung des vergangenen und vergessenen Ruhmes der Familie, die angeblich zur Zeit Shakespeares bedeutende Wollhändler hervorgebracht und schon gute Aussichten gehabt hatte, fortan in Kensington zu leben und sich Smith zu nennen, bevor eine Kombination aus Scrapie, langfristigen Klimaveränderungen, dem abscheulichen Verhalten missgünstiger Outer Qwghlmianer und einer weltweiten Trendverschiebung in der Mode – weg von den seltsam riechenden Dreißig-Pfund-Pullovern, in denen kleine Gliederfüßer wohnten – sie alle in ehrliche Armut und dann in nicht ganz so ehrliche Armut gestürzt und schließlich zu ihrer Deportation nach Australien geführt hatte.
Die Sache ist nämlich die, dass Grandma von ihrer Ma schon von Kindesbeinen an eingeflüstert und eingeimpft bekam, dass sie dereinst irgendwo in der Großstadt leben und Nylonstrümpfe, Lippenstift und Handschuhe tragen würde. Das Experiment war in einem Maße geglückt, dass Mary cCmndh zu jedem Zeitpunkt in ihrem Erwachsenenleben innerhalb von zehn Minuten der Königin von England ein Abendessen hätte zubereiten und servieren können, und zwar makellos, ohne vorher noch einen Blick in den Spiegel werfen, ihre Wohnung aufräumen, Silber putzen oder irgendwelche Etikette pauken zu müssen. Unter ihren männlichen Kindern war immer der Witz kursiert, Mom könnte ohne Begleitung in jede Rockerkneipe der Welt spazieren und nur durch ihr Auftreten und ihre Erscheinung dafür sorgen, dass sämtliche in Gang befindlichen Schlägereien augenblicklich eingestellt, sämtliche schmuddeligen Ellbogen von der Bar genommen, Oberkörper aufgerichtet und deftigen Ausdrücke hinuntergeschluckt würden. Die Rocker würden übereinander her kraxeln, um ihr aus dem Mantel zu helfen, ihr den Stuhl zurückzuziehen, Ma’am zu ihr zu sagen und so weiter. Obwohl diese Rockerkneipenszene nie stattgefunden hatte, war sie fast ein richtiger virtueller oder imaginärer Comedy-Sketch, für die Familie Waterhouse ein berühmter Augenblick im Unterhaltungsprogramm, so wie die Beatles damals bei Ed Sullivan oder Belushi mit seiner Samurai-Szene in Saturday Night Live . Sie stand oben auf ihren geistigen Videokassettenregalen gleich neben den imaginären Wochenschauen und B-Movies über das, was der Patriarch im Krieg gemacht hatte.
Das Entscheidende dabei war, dass die Fähigkeit, ein Haus auf die Weise, für die Grandma berühmt oder auch berüchtigt war, zu führen, ihre äußere Erscheinung auf dem geschilderten Standard zu halten, jedes Jahr mehrere hundert Weihnachtskarten, jede mit Federhalter in fehlerloser Langschrift geschrieben, zu verschicken und so weiter und so fort, dass all diese Dinge zusammengenommen in ihrem Kopf so viel Platz einnahmen wie, sagen wir, die Mathematik in dem eines theoretischen Physikers.
Und
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