Cryptonomicon
Hand weitergeharkt werden. Die einzigen Menschen, die von der Existenz dieser Krümmungen wissen, sind er, Wing und Wings Arbeitstrupp. Der einzige Mensch, der den wahren Grund für ihre Existenz kennt, ist Goto Dengo.
»Bohrt nicht in gerader Linie. Bohrt weiter so, wie ich es gesagt habe.«
»Ja.«
»Außerdem werdet ihr einen neuen Belüftungsschacht brauchen.«
»Noch einen Belüftungsschacht! Nein...«, protestiert Wing.
Die auf den Plänen dargestellten Belüftungsschächte sind mit ihrem ungünstigen Doppelknick schon schlimm genug.
Aber Goto Dengo hat Wing und seinen Trupp mehrmals angewiesen, neue »Belüftungsschächte« in Angriff zu nehmen, ehe er es sich anders überlegte und ihnen befahl, die Arbeit abzubrechen – mit folgendem Ergebnis:
»Diese neuen Belüftungsschächte werden von oben nach unten gegraben werden«, sagt Goto Dengo.
»Nein!«, sagt Wing, noch immer völlig fassungslos. Gotos Anweisung ist insofern völliger Wahnsinn, als man den Schutt, wenn man einen senkrechten Schacht von oben nach unten bohrt, nach oben aus dem Loch heraushieven muss. Macht man es dagegen umgekehrt, fällt der Schutt herunter und lässt sich leicht abtransportieren.
»Du wirst neue Helfer bekommen. Philippinische Arbeiter.«
Wing macht ein verblüfftes Gesicht. Er ist in noch stärkerem Maße von der Welt abgeschnitten als Goto Dengo. Die Indirektheit der Hinweise, aus denen er auf den Kriegsverlauf schließen muss, ist zum Verrücktwerden. Er und seine Arbeiter fügen die wirr verstreuten Anhaltspunkte, die ihnen zur Verfügung stehen, zu komplizierten Theorien zusammen. Diese Theorien liegen alle so weit daneben, dass Goto Dengo laut darüber lachen würde, wenn er nicht Verständnis dafür hätte. Dass MacArthur auf Leyte gelandet und dass die Kaiserliche Marine vernichtet worden ist, haben weder er noch Hauptmann Noda gewusst, bis der General es ihnen gesagt hat.
Nur in einem Punkt liegen Wing und seine Leute richtig: Bundok setzt Arbeitskräfte von außen ein, um die Geheimhaltung zu gewährleisten. Wenn irgendwelchen Chinesen die Flucht gelänge, so fänden sie sich auf einer Insel fern der Heimat wieder, unter Menschen, die ihre Sprache nicht sprechen und sie nicht sonderlich mögen. Dass bald philippinische Arbeiter kommen werden, liefert ihnen viel Stoff zum Nachdenken. Sie werden die ganze Nacht wach liegen, miteinander tuscheln und versuchen, ihre Theorien umzumodeln.
»Wir brauchen keine neuen Arbeiter.Wir sind fast fertig«, sagtWing, der sich abermals in seinem Stolz gekränkt fühlt.
Goto Dengo tippt sich mit beiden Zeigefingern auf beide Schultern und deutet damit Epauletten an. Wing braucht nur einen Moment, um zu begreifen, dass der andere von dem General spricht, dann nimmt sein Gesicht einen zutiefst verschwörerischen Ausdruck an und er kommt einen halben Schritt näher. »Befehle«, sagt Goto Dengo. »Wir graben jetzt viele Belüftungsschächte.«
Wing war kein Bergarbeiter, als er in Bundok eintraf, doch nun ist er es. Er ist verdutzt. Wozu er auch allen Grund hat. »Belüftungsschächte? Wohin?«
»Nirgendwohin«, sagt Goto Dengo.
Wings Gesicht ist noch immer verständnislos. Er glaubt, Goto Dengos schlechtes Chinesisch verhindere eine Verständigung. Aber Goto Dengo weiß, dass Wing bald dahinter kommen wird, in irgendeiner Nacht in den schlimmen, bangen Momenten, die stets kurz vor dem Einschlafen kommen.
Und dann wird er den Aufstand anführen und Lieutenant Moris Männer werden darauf vorbereitet sein; sie werden mit ihren Mörsern das Feuer eröffnen, sie werden die Minen zur Explosion bringen, sie werden die Maschinengewehre benutzen und ihre sorgfältig angelegten, sich überschneidenden Feuerzonen damit bestreichen. Keiner von ihnen wird überleben.
Goto Dengo will das nicht. Also streckt er die Hand aus und klopft Wing auf die Schulter. »Ich werde dir Anweisungen geben. Wir werden einen speziellen Schacht bauen.« Dann dreht er sich um und geht; er hat Vermessungsarbeiten durchzuführen. Er weiß,Wing wird es sich so rechtzeitig zusammenreimen, dass er sich retten kann.
In längst auseinander gefallenen Marschkolonnen kommen philippinische Gefangene, die sich auf nackten Füßen dahinschleppen und eine feuchte rote Spur auf der Straße hinterlassen. Sie werden von den Stiefeln und Bajonetten japanischer Armeesoldaten angetrieben, die kaum weniger erbärmlich aussehen. Als Goto Dengo sie in das Lager wanken sieht, geht ihm auf, dass sie
Weitere Kostenlose Bücher