Cryptonomicon
Randy, »ich komme mir ganz schön beschissen vor, weil wir Dave und seinen Leuten das alles aufbürden.«
»Das wird ihnen eine Riesenpublicity einbringen«, entgegnet Avi. »Ich bin sicher, dass Dave in dem McDonald’s bereits ein halbes Dutzend Fernsehteams postiert hat, die bis an den Rand des Wahnsinns Kaffee in sich hineinkippen.«
»Und... was meinst du, was wir machen sollten?«
»Das einzig Senkrechte ist, dass ich hinfahre«, sagt Avi.
»Wir könnten’s doch auch einfach zugeben. Dem Dentisten von der Vereinbarung per Handschlag erzählen.«
»Schreib dir eins hinter die Ohren, Randy: Das Unterseeboot ist dem Dentisten scheißegal. Das Unterseeboot ist dem Dentisten scheißegal.«
»Das Unterseeboot ist dem Dentisten scheißegal«, wiederholt Randy.
»Ich stecke jetzt also die Kassette wieder rein«, sagt Avy, während er das Band aus dem Gerät springen lässt, »und mache mich schleunigst auf den Weg.«
»Und ich werde tun, was mein Gewissen mir befiehlt«, sagt Randy.
»Die meisten Zigaretten«, sagt Avi.
»Ich werde es nicht von hier aus machen«, sagt Randy, »sondern vom Sultanat Kinakuta aus.«
Weihnachten 1944
Goto Dengo hat Lieutenant Mori und dessen Wachtruppen auf Wing hingewiesen und deutlich gemacht, dass sie ihm nicht die Bajonette durch den Körper rennen und die Klingen in den lebenswichtigen Organen herumdrehen dürfen, sofern nicht ein außergewöhnlich guter Grund wie etwa die Unterdrückung eines allgemeinen Aufstandes vorliegt. Dieselben Eigenschaften, durch die Wing für Goto Dengo so wertvoll wird, machen ihn auch zum wahrscheinlichsten Anführer jedes organisierten Ausbruchsversuchs.
Sobald der General und sein Adjutant Bundok verlassen haben, geht Goto Dengo auf die Suche nach Wing, der die Bohrarbeiten an dem diagonalen Schacht zum Yamamoto-See beaufsichtigt. Als einer, der mit gutem Beispiel vorangeht, arbeitet er mit einem Bohrer ganz vorn an der Strebfront, am Ende eines mehrere hundert Meter langen Tunnels, der so schmal ist, dass man ihn nur auf allen vieren passieren kann. Goto Dengo muss sich an dem in Golgatha mündenden Ende des Tunnels einfinden und einen Boten hineinschicken, der, einen rostigen Helm auf dem Kopf, um sich gegen die von der Strebfront herabrieselnden Gesteinstrümmer zu schützen, in den Tunnel kriecht.
Eine Viertelstunde später taucht Wing auf, schwarz von dem Steinstaub, der sich auf seinem schweißbedeckten Körper angesammelt hat, und rot, wo er sich die Haut aufgeschürft oder am Stein zerschrammt hat. Er verwendet ein paar Minuten darauf, methodisch Staub aus seinen Lungen auszuhusten. Ab und zu rollt er wie ein Blasrohrschütze die Zunge, spuckt einen Schleimklumpen gegen die Wand und beobachtet nüchtern, wie dieser am Stein herabtrieft. Die Chinesen haben ein ganzes System medizinischer Vorstellungen, das sich auf Schleim gründet, und die Arbeit unter Tage liefert ihnen viel Gesprächstoff.
»Die Belüftung nicht gut?«, fragt Goto Dengo. Sein Bordell-Chinesisch hat ihm keine technischen Begriffe wie etwa »Belüftung« vermittelt, sodass ihm Wing das entsprechende Vokabular erst beibringen musste.
Wing zieht ein Gesicht. »Ich will Tunnel fertig machen. Ich will nicht noch Belüftungsschacht bohren. Zeitverschwendung!«
Damit die Arbeiter an der Strebfront nicht ersticken, müssen in Abständen senkrechte Luftschächte von der Oberfläche zu dem diagonalen Schacht niedergebracht werden. Auf sie haben die Arbeiter ebenso viel Mühe verwendet wie auf die Diagonale selbst und dabei gehofft, nie mehr einen bohren zu müssen.
»Wie weit noch?«, fragt Goto Dengo am Ende eines weiteren Hustenanfalls von Wing.
Wing schaut nachdenklich zur Decke auf. Er hat einen genaueren Lageplan von Golgatha im Kopf als dessen Planer. »Fünfzig Meter.«
Der Planer muss unwillkürlich grinsen. »Das ist alles? Ausgezeichnet.«
»Wir sind jetzt schnell«, sagt Wing stolz und einen Moment lang schimmern seine Zähne im Lampenlicht. Dann scheint ihm wieder einzufallen, dass er ein Zwangsarbeiter in einem Todeslager ist, und die Zähne verschwinden. »Wir können noch schneller sein, wenn wir in gerader Linie bohren.«
Wing spielt darauf an, dass die Diagonale zum Yamamoto-See
auf den Plänen wie oben dargestellt ist. Aber Goto Dengo hat, ohne die Pläne zu ändern, befohlen, sie wie folgt zu bohren:
Diese Krümmungen verlängern den Tunnel um ein ganzes Stück. Außerdem häuft sich der Schutt gewöhnlich im flacheren Westteil und muss von
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