Cryptonomicon
verfängt sich in Stacheldraht und wird von einem Zweiertrupp von Wachen erschossen: Einer zielt mit der Taschenlampe, der andere mit dem Gewehr. Hauptmann Noda verbringt die ganze Nacht – jede Nacht – damit, dass er vor dem Haupttor hin und her geht, um sich dann im Morgengrauen in den Schlaf zu trinken. Die Funker sitzen vor ihrem Gerät, sehen zu, wie die Röhren glimmen und zucken jedes Mal wie Froschbeine unter Stromstößen, wenn auf ihrer Frequenz eine Kette schwacher Pieplaute hereinkommt. Aber der Befehl kommt nicht.
Dann, eines Nachts, kommen die Lkws wieder, genau wie beim ersten Mal. Der Konvoi muss alles umfassen, was vom japanischen Fahrzeugbestand auf Luzon noch übrig ist. Die Fahrzeuge treffen alle auf einmal ein und ihr Dröhnen ist schon eine halbe Stunde, bevor sie das Tor erreichen, zu hören. Als ihre Fracht abgeladen und auf dem Boden gestapelt ist, bleiben die Soldaten, die den Konvoi bewacht haben, in Bundok. Nur die Fahrer dürfen zurück.
Es braucht zwei Tage, um diesen letzten Schatz in die Tunnel zu schaffen. Eines der Pendelfahrzeuge hat endgültig seinen Geist aufgegeben und man hat es ausgeschlachtet, um das andere funktionsfähig zu halten. Es läuft nur noch auf der Hälfte seiner Zylinder und ist so schwach, dass es von Arbeitstrupps das Flussbett hinaufgeschoben und mit Seilen über unebene Stellen gezogen werden muss. Es hat schließlich doch noch zu regnen begonnen und der Tojo steigt.
Das Hauptgewölbe ist beinahe voll, ebenso die Narrenkammer. Die neue Ladung muss untergebracht werden, wo immer sich Platz bietet; sie nehmen sie aus den Kisten und verstauen sie in Ritzen. Die Kisten sind mit doppelköpfigen Adlern und Hakenkreuzen gekennzeichnet und die Goldbarren darin kommen aus Berlin, Wien, Warschau, Prag, Paris, Amsterdam, Riga, Kopenhagen, Budapest, Bukarest, Mailand. Außerdem gibt es Pappkartons, die mit Diamanten gefüllt sind. Einige der Kisten sind noch feucht und riechen nach Meer. Als Goto Dengo das sieht, weiß er, dass ein großes Unterseeboot aus Deutschland gekommen sein muss, gefüllt mit Nazi-Schätzen. Das also erklärt die zweiwöchige Pause: Sie haben auf die Ankunft dieses Unterseeboots gewartet.
Eine Stirnleuchte auf dem Kopf, ist er in den Tunneln zwei Tage lang damit beschäftigt, Edelsteine und Goldbarren in Ritzen zu stopfen. Er verfällt in eine Art Trance, die schließlich von einem dumpfen, durch den Fels hallenden Knall unterbrochen wird.
Artillerie, denkt er. Oder eine Bombe aus einem von MacArthurs Flugzeugen.
Durch den Hauptbelüftungsschacht gelangt er auf den Hügelkamm, wo heller Tag herrscht. Zu seiner tiefen Enttäuschung stellt er fest, dass keine Schlacht im Gange ist. MacArthur wird ihn nicht retten. Leutnant Mori hat fast alle Arbeiter hierher gebracht, die an Seilen das schwere Gerät des Lagers heraufzerren und es in die kürzlich gegrabenen »Belüftungsschächte« werfen. Beide Lastwagen sind da und werden von Männern mit Schneidbrennern und Vorschlaghämmern in Stücke zerlegt, die so klein sind, dass man sie in die Schächte werfen kann. Goto Dengo kommt gerade rechtzeitig, um mitzuerleben, wie der Motorblock des Generators der Funkstation einen Schacht hinunter in Schwärze stürzt. Der Rest der Funkausrüstung folgt ihm unmittelbar.
Irgendwo in der Nähe, hinter den Bäumen verborgen, ist ein heftiges Grunzen wie von schwerer körperlicher Arbeit zu hören. Es ist der tief aus dem Bauch kommende Laut des geübten Nahkämpfers.
»Leutnant Goto!«, sagt Hauptmann Noda. Er ist von Alkohol benebelt. »Sie haben unten Dienst.«
»Was war das für ein Knall?«
Noda winkt ihn zu einer Felsnase hinüber, von der aus sie in das Tal des Tojo hinuntersehen können. Goto Dengo, der aus vielerlei Gründen etwas wackelig ist, erleidet einen kurzen Schwindelanfall und stürzt beinahe ab. Das Problem ist Orientierungslosigkeit: Er erkennt den Fluss nicht wieder. Bis jetzt bestand er immer aus ein paar Rinnsalen, die sich durch ein steiniges Bett schlängelten. Schon ehe sie dort einen Fahrweg anlegten, konnte man, von einem trockenen Stein zum nächsten hüpfend, fast bis zum Wasserfall gelangen.
Nun plötzlich ist der Fluss breit, tief und schlammig. Hier und da ragen die Spitzen einiger größerer Felsbrocken aus dem Wasser.
Ihm fällt etwas ein, was er vor hundert Jahren, in einer früheren Inkarnation, auf einem anderen Planeten gesehen hat: ein Laken aus dem Manila Hotel, auf das eine grobe Karte gezeichnet war. Darauf
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