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Cryptonomicon

Cryptonomicon

Titel: Cryptonomicon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Neal Stephenson
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Luxuswagens handhaben zu können. Hinter ihnen verbirgt ein zugezogener Vorhang, was oder wer immer sich auf dem Rücksitz befindet.
    »Aufmachen!«, verlangt der Wachsoldat und der Fahrer greift hinter seinen Kopf und teilt den Vorhang. Der Laternenstrahl fällt durch die Öffnung und bricht sich an einem fahlen Gesicht. Mehrere Soldaten rufen durcheinander. Erschüttert weicht Goto Dengo zurück, dann sieht er genauer hin.
    Der Mann auf dem Rücksitz hat einen sehr großen Kopf. Doch das Seltsame an ihm ist, dass seine Haut von sattgelber Farbe ist – nicht das normale asiatische Gelb – und dass sie schimmert. Er trägt einen sonderbaren, spitzen Hut und auf seinem Gesicht liegt ein gelassenes Lächeln – ein Ausdruck, wie ihn Goto Dengo seit Kriegsbeginn nicht mehr gesehen hat.
    Weitere Laternen leuchten auf, der Ring von Soldaten und Offizieren schließt sich enger um den Mercedes. Jemand reißt die Hintertür auf und fährt dann zurück, als hätte er sich die Hand daran verbrannt.
    Der Fahrgast ruht im Lotussitz auf dem Polster, das sich unter seinem Gewicht zu einem breiten V zusammengequetscht hat.
    Es ist ein Buddha aus massivem Gold, der irgendwo anders in der Großostasiatischen Wohlstandssphäre gestohlen wurde und nun hierher kommt, um in friedvoller Dunkelheit auf dem Schatz von Golgatha zu meditieren.
    Wie sich herausstellt, ist er zwar klein genug, um durch den Eingang zu passen, aber zu groß für die kleinen Grubenwagen, und so verbringen die kräftigsten Filipinos die nächsten Stunden damit, ihn zentimeterweise in den Tunnel hineinzuschieben.
    Anfangs waren die Lieferungen ordentlich in Kisten verstaut und die Kisten trugen Kennzeichnungen in Schablonenschrift, die den Inhalt als Maschinengewehrmunition, Mörsergranaten oder Ähnliches auswiesen. Die später kommenden Kisten tragen keine Aufschriften mehr. Ab einem bestimmten Zeitpunkt kommt das Gold in Pappkartons und verrotteten Überseekoffern. Sie platzen ständig auf und die Arbeiter sammeln das Gold geduldig ein, tragen es auf den Armen in den Tunnel und werfen es in die Grubenwagen. Die Barren purzeln und schlagen mit einem Scheppern gegen das Blech, das Wolken von Vögeln aus den überhängenden Bäumen aufscheucht. Goto Dengo kann nicht anders, er muss die Barren einfach ansehen. Sie sind von unterschiedlicher Größe und manche sind so schwer, dass es zwei Männer braucht, um sie zu transportieren. Sie tragen die Prägestempel der Zentralbanken einiger Orte, an denen Goto Dengo gewesen ist, und vieler, von denen er nur gehört hat: Singapur, Saigon, Batavia, Manila, Rangun, Hongkong, Schanghai, Kanton. Da gibt es französisches Gold, das offenbar nach Kambodscha, holländisches Gold, das nach Jakarta, und britisches Gold, das nach Singapur geschafft worden ist – und das alles nur, damit es den Deutschen nicht in die Hände fällt.
    Doch einige Lieferungen bestehen fast vollständig aus Gold der Bank von Tokio. Einmal kommen davon fünf Lkw-Konvois hintereinander. Goto Dengo, der im Kopf Buch führt, schätzt, dass zwei Drittel der in Golgatha gelagerten Goldmenge unmittelbar aus den zentralen Reserven Japans stammen. Das Metall fühlt sich durchweg kalt an und ist in guten, aber alten Kisten verstaut. Er schließt daraus, dass es schon vor langer Zeit auf die Philippinen verfrachtet wurde und seither, bis zu diesem Moment, in einem Keller in Manila lagerte. Sie müssen es ungefähr zur gleichen Zeit hierher gebracht haben, zu der Goto Dengo damals, Ende 1943, von dem Strand in Neuguinea abgeholt wurde.
    So lange wissen sie es schon. So lange wissen sie schon, dass sie den Krieg verlieren werden.
    Bis Mitte Januar denkt Goto Dengo schon mit so etwas wie Wehmut an das Weihnachtsmassaker zurück, denn ihm fehlt die Atmosphäre von naiver Unschuld, welche die Tötungen erforderlich machte. Bis zu jenem Morgen war es selbst ihm gelungen, sich einzureden, Golgatha sei ein Waffenversteck, das die Soldaten des Kaisers eines Tages dazu benutzen würden, die glorreiche Wiedereroberung von Luzon zu inszenieren. Er weiß, dass auch die Arbeiter das glaubten. Mittlerweile weiß jeder über das Gold Bescheid und das Lager hat sich verändert. Jeder begreift, dass es keinen Weg hinaus gibt.
    Anfang Januar zerfällt die Arbeiterschaft in zwei Typen: diejenigen, die sich damit abgefunden haben, hier zu sterben, und die anderen. Aus der zweiten Gruppe erfolgen verschiedene Fluchtversuche halbherziger und hoffnungsloser Art und die Fliehenden werden

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