Cryptonomicon
er mit einem Radlader durch den Dschungel fährt, diesen Riesenstapel Goldbarren, den er mit Doug gefunden hat, aufschaufelt und schnurstracks zu einer Bank bringt und auf Epiphytes Konto deponiert. Das wär’s. Diese Vorstellung lässt ihn, während er tief in der internationalen Flughalle steht, am ganzen Körper vor Erregung zittern.
Links von ihm drängt eine wuselnde Masse aus Frauen und Kindern vorbei und Randy hört vertraute Stimmen. Sein Bewusstsein hat sich wie ein sterbender Tintenfisch um dieses Bild von dem Gold im Dschungel gewunden, sodass er, um für einen Augenblick der Realität ins Auge sehen zu können, gleichsam die Tentakel abziehen, diese Saugnäpfe einen nach dem anderen mit einem Schlürfgeräusch abzupfen muss. Schließlich konzentriert er sich auf die dahinhuschende Gruppe und erkennt sie als Avis Familie: Devorah und ein Haufen Kinder, dazu die zwei Kindermädchen, die in El-Al-Jacken Pässe und Flugtickets an sich drücken. Die Kinder sind klein und immer auf dem Sprung, urplötzlich auszuscheren, die Erwachsenen sind angespannt und nicht geneigt, sie weglaufen zu lassen, sodass die Bewegung der Gruppe durch die Flughalle an einen Sack voller Beagles erinnert, die auf mehr oder minder direktem Weg frisches Fleisch ansteuern. Wahrscheinlich ist Randy für diesen Exodus persönlich verantwortlich und er würde sich eigentlich lieber in der Herrentoilette verkriechen und in einer Kloschüssel verschwinden, aber er muss etwas sagen. Also holt er Devorah ein und verblüfft sie mit dem Angebot, ihr die Tasche mit den Sachen für die Kinder, die sie am Schulterriemen hängen hat, zu tragen. Doch die erweist sich als fürchterlich schwer: mehrere Gallonen Apfelsaft, würde er schätzen, plus eine komplette Asthmaanfall-Notausrüstung und eventuell ein paar solide Goldbarren für den Fall, dass unterwegs die gesamte Zivilisation zusammenbrechen sollte.
»Hm. Äh, auf dem Weg nach Israel?«
»Nach Acapulco fliegt die El Al ja wohl nicht!« Donnerwetter! Devorah ist in Hochform.
»Hat Avi dir irgendeine Erklärung hierfür gegeben?«
»Das fragst du mich? Ich hätte gedacht, du wüsstest selbst Bescheid«, sagt Devorah.
»Es ist sicher alles ein bisschen hektisch zugegangen«, sagt Randy. »Ich weiß aber nicht, ob es gerechtfertigt ist, das Land zu verlassen.«
»Und warum bist du dann am Flughafen und hast ein Air-Kinakuta-Ticket in der Tasche stecken?«
»Ach weißt du … dort gibt es ein paar geschäftliche Dinge zu regeln.«
»Du wirkst echt deprimiert. Hast du ein Problem?«, fragt Devorah.
Randy seufzt. »Kommt drauf an. Und du?«
»Und ich was? Ob ich ein Problem habe? Warum sollte ich?«
»Weil du entwurzelt worden bist und innerhalb von zehn Minuten deine Koffer packen musstest.«
»Wir gehen nach Israel, Randy. Das ist keine Entwurzelung. Das ist eine Neuverwurzelung.« Oder hat sie am Ende »Neuverwurstelung« gesagt? Randy hat es nicht genau gehört.
»Schon, aber trotzdem ist es ja ziemlich mühsam...<
»Verglichen mit was?«
»Verglichen damit, zu Hause zu bleiben und sein Leben zu leben.«
»Das ist mein Leben, Randy.« An diesem Punkt wirkt Devorah ausgesprochen gereizt. Randy hat den Eindruck, dass sie unglaublich sauer ist, aber unter einer Art emotionaler Vertraulichkeitsvereinbarung steht. Das ist vermutlich besser als die beiden einzigen anderen Alternativen, die Randy einfallen, nämlich 1. sich in hysterischen Beschuldigungen und 2. in himmlischer Gelassenheit zu ergehen. Es ist eine Haltung, die besagt: Ich mache meinen Job, du machst deinen Job, warum lässt du mich nicht einfach in Ruhe? Plötzlich kommt Randy sich vor wie ein Idiot, weil er Devorahs Tasche genommen hat. Sie fragt sich offensichtlich ganz entgeistert, warum zum Teufel Randy sich in diesem entscheidenden Moment wie ein Kofferträger abmüht. Als wären sie und die Kindermädchen nicht in der Lage, eine Tasche durch die Flughalle zu schleppen. Hat sie, Devorah, ihm vielleicht in letzter Zeit angeboten, Randy beim Schreiben eines Codes unter die Arme zu greifen? Und wenn Randy wirklich nichts Besseres zu tun hat, warum ist er dann nicht Manns genug, überall an seinem Körper Granaten festzuschnallen und den Dentisten herzlich zu umarmen?
Randy sagt: »Ich nehme an, du sprichst Avi noch einmal, bevor ihr abfliegt. Kannst du ihm etwas von mir ausrichten?«
»Was denn?«
»Null.«
»Das ist alles?«
»Das ist alles«, sagt Randy.
Vielleicht ist Devorah nicht vertraut mit Randys und Avis
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