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Cryptonomicon

Cryptonomicon

Titel: Cryptonomicon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Neal Stephenson
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von den Wachen erschossen. Die Zeit des Munitionshortens scheint vorbei zu sein, vielleicht sind die Wachen aber auch nur zu krank und hungrig, um von den Wachtürmen herabzusteigen und persönlich alle Leute zu erstechen, die sich zum Getötetwerden einfinden. So erledigt man alles mit Kugeln und die Leichen bleiben liegen, blähen und schwärzen sich. Ihr Gestank durchzieht Bundok.
    Goto Dengo allerdings merkt es kaum, weil das Lager von der verrückten, makabren Spannung erfüllt ist, wie sie stets einer Schlacht vorausgeht. Jedenfalls nimmt er das an; Gespanntheit hat Goto Dengo in diesem Krieg schon reichlich erlebt, aber an einer richtigen Schlacht hat er nie teilgenommen. Dasselbe gilt automatisch für die meisten Japaner hier, denn im Wesentlichen sind alle Japaner, die an einer Schlacht teilnehmen, am Ende tot. In dieser Armee ist man entweder ein Greenhorn oder eine Leiche.
    Manchmal kommt zusammen mit der Goldlieferung eine Aktentasche. Die Aktentasche ist stets mit einer Handschelle am Handgelenk eines Soldaten angeschlossen, der am ganzen Leib mit Granaten behängt ist, damit er sich und die Tasche pulverisieren kann, falls der Konvoi von Huks angegriffen wird. Die Aktentaschen wandern geradewegs in die Funkstation von Bundok und ihr Inhalt kommt in einen Tresor. Goto Dengo weiß, dass sie Codes enthalten müssen – nicht die üblichen Bücher, sondern irgendwelche Spezialcodes, die jeden Tag geändert werden -, denn jeden Morgen nach Sonnenaufgang vollzieht der Funkoffizier vor dem Sendeschuppen eine Zeremonie, bei der er einen einzelnen Bogen Papier verbrennt und das schrumpelige Ascheblatt dann zwischen den Händen zerreibt.
    Über diese Funkstation werden sie den letzten Befehl bekommen. Alles ist bereit und Goto Dengo unternimmt einmal am Tag einen Kontrollgang durch den gesamten Komplex.
    Der diagonale Tunnel hat vor ein paar Wochen schließlich das kurze Tunnelstück am Grund des Yamamoto-Sees erreicht. Es war mit Wasser gefüllt, das in den Monaten, seit man den Betonpfropf eingelassen hatte, an diesem vorbeigesickert war; somit liefen, als man die beiden Tunnel endlich miteinander verband, mehrere Tonnen Wasser die Diagonale hinab nach Golgatha. Damit hatte man gerechnet und man hatte sich darauf eingestellt; sämtliches Wasser gelangte in einen Sumpf und lief von dort aus in den Tojo ab. Nun ist es möglich, die Diagonale bis ans Ende hinaufzusteigen und sich den Betonpfropf von unten zu betrachten. Auf der anderen Seite liegt der Yamamoto-See. Goto Dengo geht alle zwei Tage dort hinauf, angeblich um den Pfropf und die darin eingelassenen Sprengladungen zu überprüfen, in Wirklichkeit aber, um zu kontrollieren, welche Fortschritte Wings und Rodolfos Trupps ohne Wissen von Hauptmann Noda machen. Sie bohren größtenteils nach oben, stellen noch mehr von jenen kurzen, senkrechten, blind endenden Schächten her und erweitern die Kammern an deren Ende. Das System (einschließlich der neuen »Belüftungsschächte«, die der General angeordnet und die man knapp östlich der Kammlinie von oben nach unten vorgetrieben hat) sieht mittlerweile so aus:

    Im primären Lagerkomplex befindet sich ein kleiner Raum, den Hauptmann Noda die Ruhmeshalle getauft hat. Sehr berühmt sieht er im Augenblick nicht aus. Er ist größtenteils mit einem Gewirr von Kabeln angefüllt, die man aus allen Teilen des Golgatha-Komplexes hierher geführt hat und die von der Decke baumeln oder sich am Boden entlang schlängeln, versehen mit kleinen, handgeschriebenen Anhängern, auf denen Dinge wie SPRENGLADUNGEN HAUPTEINGANG stehen. Es gibt mehrere Kisten mit Blei-Säure-Batterien, um Strom für die Sprengungen zu liefern und um Goto Dengo ein paar Minuten elektrisches Licht zu verschaffen, damit er die Papierschildchen lesen kann. An einem Ende der Ruhmeshalle sind zusätzliche Kisten mit Dynamit und Sprengkapseln gestapelt, falls man bei einigen Tunneln nachhelfen muss, außerdem Rollen roter Zündschnur, falls das elektrische System komplett versagt.
    Aber der Sprengbefehl ist noch nicht gekommen, deshalb tut Goto Dengo, was Soldaten tun, während sie auf das Sterben warten. Er schreibt Briefe an seine Familie, die niemals zugestellt oder auch nur aufgegeben werden. Er raucht. Er spielt Karten. Er geht noch einmal, und dann noch einmal, seine Ausrüstung überprüfen. Es vergeht eine Woche ohne Goldlieferungen. Zwanzig Gefangene versuchen gemeinsam zu fliehen. Wer nicht von Minen über den Todesstreifen verspritzt wird,

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