Cryptonomicon
Maximus‹, auf Englisch kurz ›Pontiff‹«, sagt Pontifex zustimmend, »aber das Wort wurde auch von Heiden für ihre Priester benutzt, und von Juden für ihre Rabbis – es ist rundherum ökumenisch.«
»Die eigentliche Bedeutung des Wortes ist allerdings ›Brückenbauer‹, und damit ist es ein guter Name für ein Verschlüsselungssystem«, sagt Randy.
»Hoffentlich auch für mich«, sagt Pontifex trocken. »Ich freue mich, dass Sie das so sehen, Randy. Viele Leute würden ein Verschlüsselungssystem eher als Mauer denn als Brücke verstehen.«
»Mannomann. Es ist schön, Sie telefonisch kennen zu lernen, Pontifex.«
»Das Vergnügen ist ganz meinerseits.«
»Sie waren in der letzten Zeit so still an der E-Mail-Front.«
»Wollte nicht, dass Sie eine Gänsehaut bekommen. Ich hatte Angst, Sie würden, wenn ich Sie weiter belästigte, denken, ich wollte Sie unbedingt bekehren.«
»Ganz und gar nicht. Übrigens – Leute, die etwas davon verstehen, finden Ihr Kryptosystem seltsam, aber gut.«
»Wenn man es erst einmal verstanden hat, ist es überhaupt nicht seltsam«, sagt Pontifex höflich.
»Sagen Sie, was ist eigentlich der Anlass für diesen Anruf? Offensichtlich überwachen Ihre Freunde mich immer noch im Auftrag von – wem genau?«
»Das weiß noch nicht einmal ich«, antwortet Pontifex. »Aber ich weiß, dass Sie versuchen, Arethusa zu knacken.
Randy kann sich nicht einmal erinnern, je das Wort »Arethusa« ausgesprochen zu haben. So lautete die Aufschrift auf den Hüllen um die Stapel von ETC-Karten, die er durch Chesters Kartenlesegerät hat laufen lassen. Jetzt sieht Randy vor seinem geistigen Auge in Grandpas altem Schrankkoffer eine Schachtel mit der Aufschrift Harvard-Waterhouse, Die Herausforderung der Primfaktorzerlegung , die aus den frühen Fünfzigerjahren stammte. Das liefert ihm wenigstens ein Datum, das er Pontifex anheften kann. »Sie waren während der späten Vierziger und frühen Fünfziger Jahre bei der NSA«, sagt Randy. »Sie müssen am Harvest gearbeitet haben.« Harvest war ein legendärer Supercomputer, ein Code-Knacker, der, seiner Zeit um drei Jahrzehnte voraus, von ETC-Ingenieuren gebaut wurde, die bei der NSA unter Vertrag standen.
»Ich habe Ihnen gesagt«, sagt Pontifex, »dass die Arbeit Ihres Großvaters sehr gelegen kam.«
»Chester kennt da einen pensionierten ETC-Ingenieur, der an seinen Kartengeräten arbeitet«, sagt Randy. »Er hat mir geholfen, die Arethusa-Karten zu lesen. Hat die Hüllen gesehen. Das ist ein Freund von Ihnen. Er hat Sie angerufen.«
Pontifex lacht stillvergnügt in sich hinein. »Unter den Mitgliedern unserer kleinen Bande gibt es kaum ein Wort, das so viele Erinnerungen wachruft wie Arethusa. Es hat ihn fast umgehauen, als er es sah. Hat mich über Handy von seinem Boot aus angerufen.«
»Warum? Warum war Arethusa so eine große Sache?«
»Weil wir zehn Jahres unseres Lebens mit dem Versuch zugebracht haben, den verdammten Code zu knacken! Und es nicht geschafft haben!«
»Das muss ja wirklich frustrierend gewesen sein«, sagt Randy, »Sie klingen immer noch sauer.«
»Ich bin sauer auf Comstock.«
»Nicht den -«
»Nicht den Justizminister Paul Comstock. Seinen Vater. Earl Comstock.«
»Was? Den Kerl, den Doug Shaftoe vom Skilift geworfen hat? Der Vietnam-Typ?«
»Nein, nein! Das heißt, ja. Earl Comstock war weitgehend für unsere Vietnampolitik verantwortlich. Und Doug Shaftoe wurde wirklich mal für fünfzehn Minuten berühmt, als er ihn 1979, glaube ich, von einem Skilift stieß. Aber dieser ganze Vietnam-Unsinn war nur der Schlussteil seiner wahren Karriere.«
»Und wie sah die aus?«
»Earl Comstock, dem Ihr Großvater während des ZweitenWeltkriegs in Brisbane unterstand, war einer der Gründer der NSA. Und er war von 1949 bis etwa 1960 mein Chef. Er war von Arethusa besessen.«
»Warum?«
»Er war davon überzeugt, dass es eine kommunistische Chiffre war. Und dass wir sie, wenn sie geknackt wäre, ausnutzen könnten, um in ein paar spätere sowjetische Codes reinzukommen, die uns Schwierigkeiten machten.Was lächerlich war. Aber er glaubte es – oder tat so als ob – und so bissen wir uns über Jahre hinweg an Arethusa die Zähne aus. Starke Männer hatten Nervenzusammenbrüche. Brillante Männer kamen zu dem Schluss, dass sie dumm waren. Am Ende erwies es sich als bloßer Scherz.«
»Ein Scherz? Was meinen Sie denn damit?«
»Wir haben diese Funksprüche vorwärts und rückwärts durch Harvest laufen lassen.
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