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Cryptonomicon

Cryptonomicon

Titel: Cryptonomicon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Neal Stephenson
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darüber zu spekulieren, in was für einen Laden sie hier geraten sind.
    Eines Morgens schließlich versammelt man sie in einem Klassenzimmer vor der saubersten Tafel, die Waterhouse je gesehen hat. Die letzten paar Tage haben ihm gerade so viel Paranoia eingeflößt, dass er den Verdacht hat, sie ist aus einem ganz bestimmten Grund so sauber – das Sauberwischen von Tafeln ist in Kriegszeiten nicht auf die leichte Schulter zu nehmen.
    Sie sitzen auf kleinen Stühlen mit daran befestigten Schreibplatten, und zwar solchen, die für Rechtshänder gedacht sind. Lawrence legt sich seinen Schreibblock auf den Schoß, lagert sodann seine bandagierte Rechte auf der Schreibplatte und beginnt, eine Melodie aus der Kunst der Fuge zu spielen und dabei vor Schmerzen Grimassen zu schneiden und zu ächzen, als seine verbrannte Haut sich dehnt und über die Knöchel gleitet.
    Irgendwer stupst ihn an der Schulter. Er schlägt die Augen auf und sieht, dass er der einzige Mensch im Raum ist, der sitzt; auf dem Podium steht ein Offizier. Lawrence erhebt sich und sein schwaches Bein gibt beinahe nach. Als er sich vollends aufgerappelt hat, sieht er, dass der Offizier (wenn es sich überhaupt um einen Offizier handelt) nicht in Uniform ist. Weit davon entfernt. Er trägt einen Bademantel und raucht Pfeife. Der Bademantel ist außerordentlich abgetragen, und zwar nicht wie beispielsweise ein Krankenhaus- oder Hotelbademantel, der häufig gewaschen wird. Das Ding hier ist schon lange nicht mehr gewaschen, aber dafür intensiv benutzt worden. Die Ellbogen sind durchgewetzt und die Unterseite des rechten Ärmels ist aschgrau und schmierig von Graphit, weil sie Zehntausende von Malen auf dicht mit Bleistiftschrift, Härte 2, bedeckten Blättern hin und her gefahren ist. Der Frotteestoff sieht nach Schuppen aus, aber das hat nichts mit Abblätterungen der Kopfhaut zu tun; die Flöckchen sind viel zu groß, und außerdem zu geometrisch: rechteckige und runde Pünktchen, herausgestanzt aus Karten bzw. Bändern. Die Pfeife ist längst ausgegangen und der Offizier (oder was immer er ist) tut nicht einmal so, als mache er sich Gedanken darum, sie wieder anzuzünden. Sie ist einfach nur dazu da, dass er etwas zum Draufbeißen hat, was er so heftig tut wie ein Infanterist aus dem Bürgerkrieg, dem gerade ein Bein abgesägt wird.
    Irgendein anderer Kerl – einer, der sich tatsächlich die Mühe gemacht hat, sich zu rasieren, zu duschen und eine Uniform anzuziehen – stellt den Bademantelträger als Commander Shane, geschrieben S-C-H-O-E-N, vor, doch Schoen will nichts davon wissen; er kehrt ihnen den Rücken zu und zeigt so die Rückseite seines Bademantels, die um den Hintern herum bis zur Durchsichtigkeit eines Negligées abgewetzt ist. Aus einem Notizbuch ablesend, schreibt er in deutlicher Schrift Folgendes an die Tafel:
    Ungefähr zu dem Zeitpunkt, wo die vierte oder fünfte Zahl an der Tafel erscheint, spürt Waterhouse, wie sich ihm die Nackenhaare sträuben. Bis die dritte Fünfergruppe dasteht, ist ihm aufgefallen, dass keine Zahl größer als 26 ist – das entspricht der Anzahl der Buchstaben des Alphabets. Sein Herz klopft wilder als in den Momenten, da japanische Bomben in parabelförmiger Fallkurve auf das Deck der auf Grund gesetzten Nevada zuflogen. Er zieht einen Bleistift aus der Tasche. Da er kein Papier zur Hand hat, schreibt er die Zahlen von 1 bis 26 auf die Oberfläche der Schreibplatte.
    Als der Mann im Bademantel die letzte Zahlengruppe hingeschrieben hat, befindet sich Waterhouse schon mitten in der Häufigkeitszählung. Er schließt sie ab, als der Bademantel gerade ungefähr so etwas sagt wie »für Sie sieht das vielleicht nach einer sinnlosen Zahlenreihe aus, aber für einen Marineoffizier der Nips bedeutet sie vielleicht etwas ganz anderes«. Dann lacht der Mann nervös, schüttelt traurig den Kopf, reckt entschlossen das Kinn und durchläuft eine ganze Skala emotionsgeladener Äußerungen, von denen keine einzige hier angemessen ist.
    Waterhouses Häufigkeitszählung ist schlicht eine Strichliste, die angibt, wie oft jede Zahl auf der Tafel vorkommt. Sie sieht folgendermaßen aus:
    Das Interessanteste daran ist, daß zehn der möglichen Symbole (nämlich 1, 2, 4, 5, 7, 9, 10, 13, 24 und 26) überhaupt nicht vorkommen. Die Mitteilung weist nur sechzehn verschiedene Zahlen auf. Angenommen, jede dieser Zahlen steht für einen, und nur einen, Buchstaben des Alphabets, so hat die Mitteilung (wie Lawrence im Kopf

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