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Cryptonomicon

Cryptonomicon

Titel: Cryptonomicon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Neal Stephenson
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er nicht anderweitig beschäftigt ist. Die meisten dieser Stücke beginnen einfach; man kann sich leicht vorstellen, wie der alte Johann Sebastian an einem kalten Morgen in Leipzig auf der Bank sitzt – ein, zwei Blockflöten-Register herausgezogen, drüben in der Ecke ein, zwei pummelige Chorknaben, die sich an den Blasebälgen ins Zeug legen, dazu ein leises Ächzen aus sämtlichen Lecks in der Mechanik – und wie seine rechte Hand ziellos über die abschreckende Schlichtheit des Manuals für das Hauptwerk gleitet und auf der Suche nach irgendeiner Melodie, die er nicht schon erfunden hat, die rissigen, vergilbten Elefantenstoßzähne streichelt. Im Augenblick tut Lawrence das gut und so lässt er seine rechte Hand die gleichen Bewegungen durchlaufen wie die Hand Johanns, obwohl die Hand bandagiert ist und er ein umgedrehtes Tablett als Ersatz für die Tastatur verwendet und die Musik leise summen muss.Wenn er sich richtig hineinsteigert, gleiten und stampfen seine Füße auf imaginären Pedaltasten unter den Laken hin und her und seine Zimmernachbarn beschweren sich.
    Er wird binnen weniger Tage aus dem Lazarett entlassen, gerade rechtzeitig, um zusammen mit dem Rest der Kapelle der Nevada einer neuen kriegsmäßigen Verwendung zugeführt werden zu können. Für die Personalexperten der Navy war das ersichtlich eine ziemlich harte Nuss. Diese Musiker sind (unter dem Gesichtspunkt des Japaner-Kaltmachens) zunächst einmal völlig nutzlos. Vom 7. Dezember an haben sie nicht einmal mehr ein funktionierendes Schiff und die meisten haben ihre Klarinetten verloren.
    Trotzdem geht es nicht nur darum, Granaten zu befüllen und Abzüge zu betätigen. Keine große Organisation kann auf systematische Weise Nips töten, ohne eine fast unglaubliche Menge von Schreibund Ablagearbeit zu bewältigen. Es ist logisch, davon auszugehen, dass sich Männer, die Klarinette spielen können, bei dieser Art von Arbeit auch nicht dämlicher anstellen als andere. Und so werden Waterhouse und seine Musikerkollegen zu einer Einheit abkommandiert, bei der es sich um eine der Schreib- und Ablageabteilungen der Navy zu handeln scheint.
    Sie ist in einem Gebäude, nicht auf einem Schiff untergebracht. Es gibt nicht wenige Navy-Angehörige, die für den Gedanken, in einem Gebäude zu arbeiten, nur Hohn übrig haben, und Lawrence und einige andere Frischlinge haben sich in ihrem Anpassungseifer angewöhnt, die gleiche Haltung an den Tag zu legen. Doch nun, da sie gesehen haben, was mit einem Schiff passiert, wenn man darauf, darin und darum herum hunderte von Pfund hochexplosiven Sprengstoff zur Detonation bringt, revidieren Waterhouse und viele andere ihre Ansichten zur Arbeit in Gebäuden. Sie melden sich mit hoher Moral an ihrem neuen Einsatzort.
    Ihr neuer befehlshabender Offizier ist weniger erheitert, und jedermann in der gesamten Abteilung scheint seine Gefühle zu teilen. Man empfängt die Musiker, ohne sie willkommen zu heißen, und man grüßt sie, ohne ihnen Ehre zu bezeigen. Die Leute, die bereits in dem Gebäude arbeiten – alles andere als übermäßig beeindruckt davon, dass die Neuankömmlinge bis vor kurzem nicht nur auf einem richtigen Schiff gearbeitet, sondern sich auch in umittelbarer Nähe von Dingen befunden haben, die brannten, explodierten etc., und zwar nicht aufgrund routinemäßiger Beurteilungsfehler, sondern weil böse Menschen bewusst dafür gesorgt haben – scheinen nicht der Ansicht zu sein, dass Lawrence und seine Kollegen es verdienen, mit dieser neuen Arbeit betraut zu werden, worin sie auch bestehen mag.
    Niedergeschlagen, ja fast verzweifelt bringen der befehlshabende Offizier und seine Untergebenen die Musiker irgendwie unter. Obwohl man nicht genug Schreibtische für alle hat, bekommt jeder zumindest einen Stuhl an einem Tisch oder einer Arbeitsplatte. Bei der Suche nach einem Plätzchen für jeden Neuankömmling legt man eine ziemliche Findigkeit an den Tag. Es wird deutlich, dass diese Leute sich alle Mühe geben, obwohl sie die Aufgabe von vornherein für hoffnungslos halten.
    Dann ist die Rede von Geheimhaltung. Es ist sehr viel davon die Rede. Sie absolvieren Übungen, mit denen ihre Fähigkeit, Dinge richtig wegzuwerfen, geprüft werden soll. Das geht lange Zeit so, und je länger es sich fortsetzt, ohne dass ihnen der Grund dafür erklärt würde, desto rätselhafter kommt es ihnen vor. Die Musiker, die sich zunächst ein wenig über den frostigen Empfang geärgert haben, fangen an, untereinander

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