Cryptonomicon
ein Fernglas zu einer Schießscharte herausstreckt, eröffnen ein halbes Dutzend amerikanischer Fliegerabwehrkanonen auf den umliegenden Schiffen aus nächster Nähe das Feuer auf ihn.
Ein ungeheurer Lärm bricht los, als aus einer kleinen Bucht an der Wasserlinie der Insel ein Motorboot hervorschießt und direkten Kurs auf ein amerikanisches Landungsboot nimmt. Hundert Geschütze eröffnen gleichzeitig das Feuer darauf. Überschallschnelle Metallstücke prasseln um das kleine Boot ins Wasser, eine Tonne nach der anderen. Jedes Stück lässt das Wasser aufspritzen. Sämtliche Spritzer verbinden sich zu einer wild aufschäumenden vulkanischen Eruption weißen Wassers mit dem kleinen Boot als Mittelpunkt. Bobby Shaftoe steckt sich die Finger in die Ohren. Zweitausend Pfund Brisanz-Sprengstoff, die in die Nase des kleinen Boots gestopft sind, detonieren. Die Schockwelle zuckt über die Wasseroberfläche, ein pulvriger weißer Ring, der sich mit übernatürlicher Geschwindigkeit ausdehnt. Sie trifft Bobby Shaftoe wie ein Baseball aufs Nasenbein. Eine Zeit lang unterlässt er es, seinen Fallschirm zu steuern, und vertraut darauf, dass der Wind ihn an die richtige Stelle trägt.
Die Rauchbombe wurde abgeworfen, um die Vorstellung zu beweisen, dass ein Mann an einem Fallschirm tatsächlich imstande ist, auf dem Dach dieser Festung zu landen. Bobby Shaftoe allerdings stellt die endgültige und unwiderlegliche Überprüfung dieser These dar. Im Näherkommen sieht Shaftoe, der nach der Explosion langsam wieder einen klaren Kopf bekommt, dass die Rauchbombe das Dach gar nicht erreicht hat: Ihr kleiner Schirm hat sich in dem Antennengewirr verheddert, das dem Dach der Festung entsprießt.
Scheiße, alle möglichen Antennen! Schon während seiner Zeit in Schanghai hat Shaftoe in der Nähe von Antennen immer ein ungutes Gefühl gehabt. Die Dünnhälse von Station Alpha in ihrem kleinen hölzernen Dachverschlag, aus dem die ganzen Antennen ragten – das waren keine Soldaten, Seeleute oder Marines im gewöhnlichen Sinne. Corregidor starrte von Antennen, ehe die Nips kamen und die Insel einnahmen. Und überall, wo Shaftoe während seiner Zugehörigkeit zu Abteilung 2702 hinkam, gab es Antennen.
Er wird die nächsten Augenblicke damit zubringen, sich sehr eingehend auf diese Antennen zu konzentrieren, und so dreht er einen Moment lang den Kopf zur Seite, um das amerikanische LCM anzupeilen – das Landungsboot, das die Japaner mit ihrem Selbstmordboot zu zerstören hofften. Es befindet sich genau dort, wo es zu sein hat – auf halbem Weg zwischen der Flotte, welche die Festung umzingelt hält, und deren senkrechter, dreizehn Meter hoher Mauer. Auch wenn Shaftoe der Plan nicht schon bekannt wäre, würde er dieses Schiff auf einen Blick als Landungsboot, Motorisiert (Mark 3), erkennen, eine sechzehn Meter lange Schuhschachtel aus Stahl, dazu gedacht, einen mittelgroßen Tank auf einen Strand zu setzen. Es verfügt über zwei Maschinengewehre Kaliber 50, aus denen es pflichtschuldig auf diverse Ziele in der Festungsmauer einhämmert, die Shaftoe nicht sehen kann. Dafür kann er von seinem Beobachtungspunkt in der Luft aus etwas sehen, was wiederum die Japaner nicht sehen können: Das LCM befördert keinen Tank im Sinne eines auf Raupenketten laufenden Fahrzeugs mit einem Geschützturm. Es befördert vielmehr einen Tank im Sinne eines großen Stahlbehälters, an dem Röhren, Schläuche und anderes Zeug befestigt sind.
Die Nips in der Festung schießen auf das sich nähernde Landungsboot, aber das einzige Ziel, das sich ihnen bietet, ist dessen Vordertür, ein Stück Metall, das heruntergeklappt zur Rampe wird, bei deren Konstruktion man unglaublicherweise von der Annahme ausging, zum Untergang verurteilte Nips würden sich ausgiebig bemühen, mit diversen Projektilen Löcher hineinzuschießen. Somit erzielen die Verteidiger keinerlei Wirkung. Fliegerabwehrgeschütze auf anderen Schiffen haben begonnen, wie unsinnig die Festungswände zu beharken, sodass es den Japanern schwer fällt, Köpfe und Gewehrläufe herauszustrecken. Shaftoe sieht Antennenstücke über das Festungsdach schlittern und hüpfen und ab und zu Striche von Leuchtspurgeschossen, und er hofft, dass die Kanoniere auf den Schiffen die Geistesgegenwart besitzen, das Feuer einzustellen, ehe er auf dem Scheißding landet, was in ein paar Sekunden geschehen wird.
Shaftoe wird klar, dass die geistige Vorstellung, die er sich vom Ablauf dieses Einsatzes gemacht hat, als
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