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Cryptonomicon

Cryptonomicon

Titel: Cryptonomicon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Neal Stephenson
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modernen, wissenschaftlichen Weltbild gegenüber seinem antiken, heidnischen Weltbild entsprechen.«
    »So ist es. Dieser Plato und sein Höhlengleichnis!«
    Genau in diesem Moment legt irgendein Witzbold von Gefängniswärter draußen auf dem Gang einen Schalter um und knipst sämtliche Lichter aus. Die einzige Beleuchtung kommt jetzt von dem Bildschirmschoner auf Randys Laptop, der sich bewegende Galaxien zusammenstoßen lässt.
    »Wir können wohl mit Fug und Recht behaupten, dass die Wand vor Ihnen, Randy, wesentlich ebener und glatter ist und Ihnen somit einen viel exakteren Schatten liefert als seine Wand, aber es ist klar, dass er dennoch imstande ist, dieselben Schatten zu sehen und vermutlich auch ein paar sinnvolle Schlüsse hinsichtlich der Form der Dinge zu ziehen, die sie geworfen haben.«
    »Gut. Die Athene, die Sie mit Ihrem Medaillon verehren, ist kein übernatürliches Geschöpf -«
    »- das auf einem Berg in Griechenland lebt und so weiter, sondern genau die Wesenheit, das Muster, die Tendenz oder das was weiß ich, das, nachdem es von den alten Griechen erkannt und durch ihre Wahrnehmungsmechanismen und ihr heidnisches Weltbild gefiltert worden war, die innere geistige Repräsentation erzeugte, die sie Athene tauften. Die Unterscheidung ist ziemlich wichtig, denn Athene, die übernatürliche Mieze mit dem Helm, existiert natürlich nicht, aber ›Athene‹, die äußere Erzeugerin der inneren, von den alten Griechen Athene genannten Repräsentation, muss damals existiert haben, denn sonst wäre die innere Repräsentation nicht erzeugt worden, und wenn sie damals existiert hat, stehen die Chancen ausgezeichnet, dass sie auch jetzt existiert, und falls das alles stimmt, besitzen alle Vorstellungen, die die alten Griechen (die zwar in vieler Hinsicht ausgesprochene Arschlöcher, aber auch ungeheuer intelligent waren) von ihr hatten, vermutlich nach wie vor ihre Gültigkeit.«
    »Aber warum Athene und nicht Demeter oder irgendjemand anders?«
    »Es ist eine Binsenwahrheit, dass man einen Menschen nicht verstehen kann, wenn man nicht etwas über seinen familiären Hintergrund weiß, und deshalb müssen wir hier einen kurzen Abstecher à la Cliff’s Notes in die klassische griechische Theogonie machen. Wir beginnen mit dem Chaos, in dem alle Theogonien anfangen und das ich mir gerne als ein Meer aus weißem Rauschen vorstelle – völlig beliebige Breitbandstörgeräusche. Und aus Gründen, die wir letztlich nicht verstehen, schälen sich daraus allmählich bestimmte Gegensätze heraus – Tag, Nacht, Dunkelheit, Licht, Erde, Wasser. Ich persönlich stelle sie mir gerne als Kristalle vor – nicht so wie irgendwelche flippigen Hippies in Kalifornien es tun würden, sondern so wie ein nüchterner Techniker sie sehen würde, nämlich als Resonatoren, die bestimmte im Rauschen des Chaos verborgene Kanäle empfangen. Irgendwann erhält man aus gewissen inzestuösen Paarungen solcher Wesenheiten Titanen. Und es ist durchaus interessant festzustellen, dass die Titanen wirklich die volle Grundausstattung an Göttern bieten – da gibt es Hyperion, den Sonnengott, einen Meeresgott namens Oceanus, und so weiter. In einem Titanomachie genannten Machtkampf werden sie jedoch alle gestürzt und durch neue Götter wie Apollo und Poseidon ersetzt, die am Ende sozusagen ihre Plätze im Organigramm einnehmen. Was insofern recht interessant ist, als es dem zu entsprechen scheint, was ich über Wesenheiten oder Muster gesagt habe, die über die Zeit hinweg fortbestehen, aus der Sicht verschiedener Menschen jedoch leicht unterschiedlich geformte Schatten werfen. Wie auch immer, jetzt haben wir die Götter des Olymp, wie wir sie uns normalerweise vorstellen: Zeus, Hera und so weiter.
    Vorweg ein paar grundlegende Feststellungen über sie: Erstens gingen sie alle mit einer Ausnahme, zu der ich bald kommen werde, aus einer Art sexueller Verbindung hervor, und zwar entweder zwischen Titan/Titanin, Gott/Göttin, Gott/Nymphe oder Gott/Frau und vor allem Zeus und wem oder was Zeus an dem jeweiligen Tag gerade vögelte. Was mich zur zweiten grundlegenden Feststellung bringt, nämlich dass die Götter des Olymp die denkbar erbärmlichste und am wenigsten funktionierende Familie überhaupt sind. Und dennoch hat die buntscheckige Asymmetrie dieses Pantheon etwas an sich, was das Ganze glaubhafter macht.Wie das Periodensystem der Elemente oder der Stammbaum der Elementarteilchen oder einfach irgendeine anatomische Struktur, die man

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