Cryptonomicon
einer Leiche entnehmen könnte, weist sie so viel von einem Muster auf, dass unser Verstand etwas zum Nachdenken hat, aber dennoch eine Unregelmäßigkeit, die auf eine gewisse organische Herkunft hindeutet – da gibt es zum Beispiel einen Sonnengott und eine Mondgöttin, alles klar und symmetrisch, aber dann ist da auch Hera, die keine spezielle Aufgabe hat, außer buchstäblich eine Wahnsinnsgöttin zu sein, und Dionysos, der nicht mal ganz Gott ist – er ist halb Mensch -, es aber schafft, ins Pantheon zu gelangen und neben den Göttern auf dem Olymp zu sitzen, so als ginge man zum Supreme Court und fände dort Bozo den Clown unter den Richtern.
Worauf ich hinauswill, ist, dass Athene in jeder Hinsicht außergewöhnlich war. Es fing schon damit an, dass sie nicht durch sexuelle Fortpflanzung im gewöhnlichen Sinne geschaffen wurde, sondern ausgeformt dem Kopf des Zeus entsprang. Manche Versionen der Geschichte besagen, das sei passiert, nachdem Zeus Metis, von der wir zu gegebener Zeit noch hören werden, gevögelt habe. Dann sei er gewarnt worden, dass Metis später einen Sohn gebären würde, der ihn entthronen würde, und so verspeiste er sie, und später kam die Athene aus seinem Kopf. Ob man nun an die Metis-Geschichte glaubt oder nicht, es steht wohl außer Frage, dass es bei Athenes Geburt etwas sonderbar zuging. Sie war auch insoweit außergewöhnlich, als sie sich nicht in die moralische Verkommenheit des Olymp einreihte; sie war eine Jungfrau.«
»Aha! Ich wusste doch, dass das auf Ihrem Medaillon das Bild einer Jungfrau war.«
»Ja, Randy, Sie haben wirklich ein Auge für Jungfrauen. Hephaistos fickte sie einmal zwischen die Schenkel, kam aber nicht zur Penetration. In der Odyssee ist sie ziemlich wichtig, aber es gibt nur sehr wenige Mythen im herkömmlichen Sinne, in denen sie eine Rolle spielt. Die eine Ausnahme bestätigt wirklich die Regel: die Geschichte von Arachne. Arachne war eine großartige Weberin, die arrogant wurde und das Lob selbst einzuheimsen begann, statt ihr Talent den Göttern zuzuschreiben. Arachne ging so weit, dass sie Athene, unter anderem die Göttin der Webkunst, offen zu einem Wettstreit herausforderte.
Dazu muss man wissen, dass die griechischen Mythen typischerweise etwa so gehen: Unschuldiger Hirtenjunge geht seinem Tagwerk nach, ein darüber wegfliegender Gott erspäht ihn und bekommt einen Ständer, stößt herab und fickt ihn dumm und dämlich; während der arme Tropf immer noch ganz benommen umherstolpert, verwandelt die rasend eifersüchtige Frau oder Geliebte des Gottes ihn – das heißt, das hilflose, unschuldige Opfer – in, sagen wir, eine unsterbliche Schildkröte, die sie mit starken Krampen auf ein Sperrholzbrett mit einer Schale Schildkrötenfutter knapp außerhalb ihrer Reichweite heftet und für immer in der prallen Sonne lässt, wo sie immer wieder von Wanderameisen ausgeweidet und von Hornissen gestochen wird, oder so was. Wäre Arachne also irgendjemand anderem im Pantheon an den Karren gefahren, wäre sie postwendend nur noch ein rauchendes Loch im Erdboden gewesen.
In diesem Fall jedoch erschien Athene ihr im Gewand einer alten Frau und mahnte sie, die ihr geziemende Bescheidenheit an den Tag zu legen. Arachne schlug ihren Rat aus. Schließlich gab Athene sich zu erkennen und forderte Arachne zu einem Webwettstreit heraus, was, so wird man zugeben müssen, von einem ungewöhnlichen Sinn für Gerechtigkeit zeugte. Und das Interessante daran ist, dass der Wettstreit unentschieden ausging – Arachne war wirklich so gut wie Athene! Das Problem bestand nur darin, dass ihr Webstück die Götter des Olymps mitten beim Hirtenjungenvergewaltigen und Wilddurcheinanderficken zeigte. Dieses Webstück war einfach eine wahrheitsgetreue und genaue Illustration all der anderen Mythen, was es zu einer Art Meta-Mythos macht. Athene wurde fuchsteufelswild und schlug mit ihrer Spule auf Arachne ein, was einem als Wutreaktion zunächst lächerlich vorkommen mag, bis man sich vor Augen hält, dass sie während des Kampfes mit den Giganten Enkelados umbrachte, indem sie Sizilien auf ihn schleuderte! Die einzige Wirkung bestand darin, dass Arachne ihre eigene Hybris erkannte, woraufhin sie sich so schämte, dass sie sich erhängte. Athene jedoch erweckte sie in Form einer Spinne wieder zum Leben.
Wie auch immer, in der Grundschule haben Sie sicher gelernt, dass Athene einen Helm und einen Schild mit Namen Aegis trägt und die Göttin des Krieges und der Klugheit
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