Cryptonomicon
ebenso wie des Kunsthandwerks ist – zu dem auch das zuvor erwähnte Weben gehört. Eine seltsame Kombination, gelinde ausgedrückt! Vor allem angesichts der Tatsache, dass eigentlich Ares der Gott des Krieges sein sollte und Hestia die Göttin der häuslichen Tätigkeiten – wozu also die Redundanz? Allerdings ist da vieles bei der Übersetzung vermasselt worden. Die Art von Weisheit, die wir mit alten Knackern wie meiner Wenigkeit verbinden und die ich Ihnen, Randy Waterhouse, hier zu vermitteln suche, hieß bei den Griechen dike. Davon war Athene nicht die Göttin! Sie war die Göttin von metis , was Listigkeit oder Kunstfertigkeit bedeutet und was, wie Sie sich erinnern werden, in einer Version der Geschichte der Name ihrer Mutter war. Interessanterweise gab Metis (die Person, nicht die Eigenschaft) dem jungen Zeus den Zaubertrank, der Kronos dazu brachte, all die Götterbabys, die er verschlungen hatte, zu erbrechen, und so die Voraussetzungen für die ganze Titanomachie schaffte. Damit wird die Verbindung zum Kunsthandwerk klar – Kunsthandwerk ist einfach die praktische Anwendung von metis .«
»Mit dem Wort ›Kunsthandwerk‹ verbinde ich das Basteln von hässlichen Gürteln und Aschenbechern in Sommerfreizeiten«, sagt Randy. »Ich meine, wer will denn schon die Göttin des Makramee sein?«
»Das liegt alles an der schlechten Übersetzung. Das Wort, das wir heute dafür benutzen, ist eigentlich Technologie .«
»Ach so. Das sieht natürlich schon anders aus.«
»Statt Athene die Göttin des Krieges, der Klugheit und des Makramee zu nennen, sollten wir lieber ›des Krieges und der Technologie‹ sagen. Und hier haben wir erneut das Problem einer Überschneidung mit dem Zuständigkeitsbereich des Ares, der angeblich der Gott des Krieges ist. Dazu müssen wir wissen, dass Ares ein Riesenarschloch ist. Seine persönlichen Gehilfen sind Furcht und Schrecken und manchmal die Zwietracht. Er liegt ständig im Streit mit Athene, obwohl – oder gerade weil – sie dem Namen nach Gott und Göttin desselben Dings – des Krieges – sind. Herakles, einer von Athenes menschlichen Schützlingen, bringt Ares bei zwei Gelegenheiten physische Verletzungen bei und entreißt ihm einmal sogar seine Waffen! Wie Sie sehen, ist das Faszinierende an Ares seine völlige Inkompetenz. Er wird von ein paar Riesen für dreizehn Monate in Ketten gelegt und in einen Bronzekessel eingesperrt. In der Ilias wird er von einem von Odysseus’ Zechkumpanen verwundet. Einmal setzt Athene ihn mit einem Felsen außer Gefecht. Wenn er sich nicht gerade im Kampf lächerlich macht, bumst er jedes weibliche menschliche Wesen, das ihm unter die Finger kommt, und – hören Sie gut zu! – seine Söhne sind alle das, was wir heute Serienmörder nennen würden. Mir erscheint es daher ganz offensichtlich, dass Ares ein Kriegsgott nach dem Geschmack von Leuten war, die ständig in Kriege verwickelt waren, und eine sehr klare Vorstellung von der Dummheit und Hässlichkeit des Krieges hatten.
Während Athene dafür bekannt ist, dass sie die Unterstützerin des Odysseus war, desjenigen, das dürfen wir nicht vergessen, der auf die Idee mit dem trojanischen Pferd kommt. Athene begleitet sowohl Odysseus als auch Herakles durch ihre Kämpfe, und obwohl beide hervorragende Krieger sind, gewinnen sie die meisten Schlachten aufgrund von Listigkeit oder (weniger abwertend) metis . Und obgleich sie beide recht hemmungslos gewalttätig werden (Odysseus nennt sich gerne selbst den ›Städteverwüster‹), ist klar, dass sie die Art hirnloser, roher Gewalt, die man mit Ares und seinem Nachwuchs assoziiert, ablehnen – Herakles befreit die Welt sogar selbst von einigen der psychopathischen Söhne des Ares. Letztlich bewiesen ist es natürlich nicht – schließlich können wir nicht ins Melderegister von Theben gehen und die Totenscheine dieser Burschen einsehen -, aber wie es scheint, hat Herakles höchstpersönlich mit der zuverlässigen Unterstützung von Athene mindestens die Hälfte der Hannibal Lecter ähnlichen Ares-Sprösslinge umgebracht.
Wenn Athene also auch eine Göttin des Krieges ist, was meinen wir dann damit?Vergessen Sie nicht, dass ihre berühmteste Waffe nicht ihr Schwert ist, sondern ihr mit einem Gorgonenkopf bewehrter Schild Aegis, sodass jeder Angreifer Gefahr läuft, in Stein verwandelt zu werden. Sie wird immer als ruhig und majestätisch beschrieben, Adjektive, von denen keins zu irgendeiner Zeit auf Ares zugetroffen
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