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Cryptonomicon

Cryptonomicon

Titel: Cryptonomicon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Neal Stephenson
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Shekondar im Konzert. Im Grunde handelt es sich um eine Parodie der Post-Seattle-Seattle-Szene, die sich perfekt an den über diese kursierenden, falschen Vorstellungen orientiert, wie man sie in der Einbildung eines philippinischen Zollbeamten erwarten darf, der wie alle anderen davon phantasiert, nach Seattle zu ziehen. Der Leadgitarrist sieht ein bisschen so aus wie Chester mit einer Perücke.
    Wahrscheinlich ist diese ganze Raffinesse überflüssig. Wahrscheinlich wäre es okay gewesen, wenn Chester die blöden Dokumente mit FedEx direkt ans Gefängnis geschickt hätte. Aber Chester, der in seinem Haus am Lake Washington sitzt, geht von einer Reihe von Annahmen über Manila aus, die ebenso fehlerhaft sind wie das, was die halbe Welt von Seattle glaubt. Zumindest hat Randy etwas zu lachen, ehe er in Zeta-Funktionen eintaucht.
    Ein Wort zur Libido: Bei Randy ist es nun schon ungefähr drei Wochen her. Er wollte gerade anfangen, sich mit der Situation auseinander zu setzen, als die Zelle nebenan plötzlich mit einem hochintelligenten und äußerst scharfsichtigen katholischen Ex-Priester belegt wurde, der fünfzehn Zentimeter von ihm entfernt schläft. Seither kommt Masturbation an sich eigentlich nicht mehr in Frage. Insofern Randy überhaupt an einen Gott glaubt, betet er um einen nächtlichen Erguss. Seine Prostata hat mittlerweile die Größe und Konsistenz einer Krocketkugel. Er spürt sie ständig und nennt sie bei sich seinen Hunk of Burning Love. Randy hat einmal Probleme mit der Prostata gehabt, als er chronisch zu viel Kaffee trank, und dabei tat ihm zwischen den Brustwarzen und den Knien alles weh. Der Urologe erklärte, die Prostata sei neurologisch mit so gut wie jedem anderen Körperteil verdrahtet, und er brauchte, um Randy davon zu überzeugen, keinerlei rhetorische Fähigkeiten aufzubieten oder detaillierte Argumente anzuführen. Seither glaubt Randy, dass die mitunter geradezu schwachsinnige Fixierung der Männer auf die Kopulation in gewisser Weise diesen neurologischen Schaltplan widerspiegelt; wenn man bereit ist, der Außenwelt sein genetisches Material zugute kommen zu lassen, d. h. wenn die Prostata voll geladen ist, merkt man es sogar in den kleinen Fingern und den Augenlidern.
    Und so wäre eigentlich zu erwarten, dass Randy unentwegt an America Shaftoe, das sexuelle Ziel seiner Wahl, denkt, die (um alles nur noch viel schlimmer zu machen) in letzter Zeit wahrscheinlich viel in Neoprenanzügen herumläuft. Und tatsächlich gingen seine Gedanken in dem Moment, in dem man Enoch Root in die Zelle schleifte, auch genau in diese Richtung. Doch seither ist deutlich geworden, dass er in diesem Punkt eiserne geistige Disziplin wahren muss und überhaupt nicht an Amy denken darf. Während er mit all den Kettensägen und Welpen jongliert, balanciert er zugleich auf einer Art intellektuellem Hochseil, an dessen Ende die Entschlüsselung der Arethusa-Funksprüche liegt, und sofern er dieses Ziel fest im Auge behält und einfach immer nur einen Fuß vor den anderen setzt, wird er auch dorthin kommen. Amy-im-Neoprenanzug ist irgendwo unten und bemüht sich fraglos, ihn emotional zu unterstützen, aber ein flüchtiger Blick in ihre Richtung und er ist verloren.
    Was er hier liest, ist eine Reihe akademischer Papiere, die auf die Dreißiger- und den Anfang der Vierzigerjahre zurückgehen und von seinem Großvater, der sie nicht allzu subtil auf alles geflöht hat, was sich an der kryptographischen Front verwenden ließe, mit zahlreichen Unterstreichungen versehen worden sind. Dass er nicht allzu subtil vorgegangen ist, erweist sich als Vorteil für Randy, dessen Kenntnisse in reiner Zahlentheorie hier gerade noch ausreichen. Chesters Lakaien mussten nicht nur die Vorder-, sondern auch die Rückseite dieser Blätter scannen, die ursprünglich leer waren, von Großvater jedoch mit zahlreichen Anmerkungen beschrieben wurden. So gibt es beispielsweise ein 1937 von AlanTuring verfasstes Papier, in dem Lawrence Pritchard Waterhouse auf irgendeinen Irrtum oder jedenfalls auf einen Punkt gestoßen ist, mit dem sich Turing nicht eingehend genug befasst hat, sodass er gezwungen war, mehrere Seiten mit Anmerkungen zu füllen. Bei dem bloßen Gedanken, dass er so anmaßend ist, sich an einem solchen Dialog zu beteiligen, gefriert Randy das Blut in den Adern. Als ihm aufgeht, wie weit das Ganze über seinen Horizont geht, schaltet er seinen Computer ab, geht zu Bett und schläft zehn Stunden lang den nutzlosen Schlaf

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