Cryptonomicon
Dengo verhört ihn eine Zeit lang in einer Mischung aus Japanisch und Französisch, bis ein Schweißfilm die Stirn des anderen bedeckt. Er probiert die Weine sehr sorgfältig. Die Spannung erreicht den Siedepunkt, während er die Flüssigkeit im Mund herumrollen lässt und dabei in die Ferne starrt. Der Sommelier wirkt erleichtert – ja geradezu verblüfft -, als Goto Dengo beide akzeptiert. Der Subtext hier scheint zu besagen, dass es keine ganz unbedeutende Führungsaufgabe ist, Gastgeber eines erstklassigen Dinners zu sein, und dass man Goto Dengo nicht mit Geplauder stören sollte, während er diese Verantwortung wahrnimmt.
An dieser Stelle schaltet sich schließlich Randys Paranoia ein: Kann es sein, dass Goto-sama für diesen einen Abend das ganze Restaurant gemietet hat, nur um ein bisschen ungestört zu sein? Waren die beiden Lakaien bloß Helfer mit ungewöhnlich dicken Brieftaschen oder waren es Sicherheitsleute, die das Lokal auf Überwachungsgeräte abgesucht haben? Auch hier wiederum will man subtextmäßig offenbar sagen, dass sich Randy und Avi über derlei nicht ihre hübschen jungen Köpfchen zerbrechen sollen. Goto Dengo sitzt unter einer Deckenleuchte. Sein Haar steht senkrecht vom Kopf ab, ein borstiges Büschel von Normalvektoren, die wie Halogenlampen strahlen. Er hat eine enorme Anzahl von Narben im Gesicht und an den Händen und Randy geht plötzlich auf, dass er im Krieg gewesen sein muss. Was angesichts seines Alters eigentlich hätte auf der Hand liegen müssen.
Goto Dengo erkundigt sich danach, wie Randy und Avi zu ihrem derzeitigen Beruf gekommen und wie sie Geschäftspartner geworden seien. Das ist eine vernünftige Frage, aber sie zwingt die beiden, das ganze Konzept der Fantasy-Rollenspiele zu erklären.Wenn Randy gewusst hätte, dass es dazu kommen würde, hätte er sich lieber aus dem Fenster gestürzt als Platz zu nehmen. Aber Goto Dengo nimmt es ziemlich gelassen und setzt es sofort in Beziehung zu bestimmten, erst kürzlich eingetretenen Entwicklungen in der japanischen Spiele-Industrie, die den allmählichen Paradigmenwechsel von Spielhallenspielen zu Rollenspielen mit richtiger Handlung vollzogen hätten; bis er fertig ist, kommen sie sich nicht mehr wie leicht gewichtige Nerds , sondern wie visionäre Genies vor, die ihrer Zeit zehn Jahre voraus sind. Das verpflichtet Avi (der auf die Ausgewogenheit der Gesprächsanteile achtet) mehr oder weniger, Goto Dengo zu fragen, wie er denn zu seinem derzeitigen Beruf gekommen sei. Beide Gotos tun die Frage mit einem Lachen ab, als sei die Geschichte, wie Goto Dengo im Alleingang Nachkriegs-Japan wiederaufgebaut hat, viel zu trivial, um zwei junge, amerikanische, visionäre Dungeons-and-Dragons-Pioniere zu interessieren, doch als Avi ein wenig insistiert, zuckt der Patriarch schließlich die Achseln und sagt etwas des Sinnes, dass sein Vater im Bergbau gewesen sei und er von daher schon immer ein gewisses Faible dafür gehabt habe, Löcher in den Boden zu graben. Sein zunächst minimales Englisch wird mit fortschreitendem Abend immer besser, als staube er nach und nach umfangreiche Speicherbanken und Verarbeitungskapazitäten ab und verwalte sie online, wie Röhrenverstärker.
Das Dinner wird serviert; und so muss jeder erst einmal ein Weilchen essen und sich bei Goto-sama für seine ausgezeichneten Empfehlungen bedanken. Avi wird ein wenig übermütig und fragt den Alten, ob er sie mit ein paar Erinnerungen an Douglas MacArthur erfreuen könne. Der Alte grinst, als wäre ihm ein Geheimnis entlockt worden, und sagt: »Ich habe den General auf den Philippinen kennen gelernt.« Mit der Mühelosigkeit eines Jiu-Jitsu-Griffs hat er das Gespräch auf das Thema gebracht, über das eigentlich alle reden wollen. Randys Puls und Atemfrequenz erhöhen sich um gut fünfundzwanzig Prozent, seine sämtlichen Sinne schärfen sich, fast als hätte es ihm wieder in den Ohren geknackt, und er verliert den Appetit. Auch die anderen scheinen etwas aufrechter zu sitzen und auf ihren Stühlen leicht hin und her zu rutschen. »Haben Sie viel Zeit in diesem Land verbracht?«, fragt Avi.
»O ja.Viel Zeit. Hundert Jahre«, sagt Goto Dengo mit ziemlich frostigem Grinsen. Er hält inne, damit auch jeder Gelegenheit hat, sich richtig unwohl zu fühlen, und fährt dann fort: »Mein Sohn sagt mir, Sie wollen dort ein Grab schaufeln.«
»Ein Loch«, wagt Randy nach einigem Unbehagen zu äußern.
»Entschuldigung. Mein Englisch ist eingerostet«, sagt Goto Dengo
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