Cryptonomicon
lassen, was er will.«
»Tut er aber nicht«, entgegnet Avi, wieder dieses Lächeln auf den Lippen. »Er wird tun, was seine Frau ihm sagt.«
»Woher weißt du das?«
»Schau mal«, beginnt Avi, »Kepler ist ein totaler Kontrollfreak – wie die meisten mächtigen, reichen Männer. Stimmt’s?«
»Stimmt.«
»Wenn du nun ein solcher Kontrollfreak bist, wie drückt sich das in deinen sexuellen Präferenzen aus?«
»Das erfahre ich hoffentlich nie. Ich nehme an, ich würde eine Frau beherrschen wollen.«
»Falsch!«, gibt Avi zurück. »Sex ist viel komplizierter, Randy. Beim Sex kommen die unterdrückten Wünsche der Menschen zum Vorschein. Am meisten turnt es sie an, wenn ihre innersten Geheimnisse enthüllt werden...<
»Ach du Scheiße! Kepler ist Masochist?«
»Er ist ein so ausgeprägter Masochist, dass er schon dafür berühmt war. Zumindest in der südostasiatischen Sexindustrie. Zuhälter und Puffmütter in Hongkong, Bangkok, Shenzhen, Manila, sie alle haben eine Akte über ihn geführt – sie wussten genau, was er wollte. Und so hat er Victoria Vigo kennen gelernt. Er war nämlich in Manila und arbeitete an dem FiliTel-Geschäft. Hielt sich lange hier auf, wohnte in einem Hotel, das den Bolobolos gehörte und von ihnen mit Wanzen gespickt worden war. Sie studierten seine Paarungsgewohnheiten wie Entomologen das Fortpflanzungsverhalten von Ameisen. Sie bauten Victoria Vigo – ihr Ass, ihre Bombe, ihren sexuellen Terminator – auf, um Kepler haargenau das zu geben, was er haben wollte. Dann haben sie sie wie eine Lenkrakete in sein Leben geschossen und wumm! Wahre Liebe!«
»Eigentlich hätte er doch misstrauisch sein müssen. Es wundert mich, dass er sich dermaßen mit einer Hure eingelassen hat.«
»Er wusste doch nicht, dass sie eine Hure ist! Das ist ja gerade das Schöne an dem Plan! Die Bolobolos hatten ihr eine falsche Identität als Concierge von Keplers Hotel verschafft! Als sittsames katholisches Schulmädchen! Zuerst besorgt sie ihm Karten für ein Theaterstück, und nach nicht einmal einem Jahr ist er auf seiner eigenen Supermegayacht mit Peitschenstriemen am Hintern an sein Bett gekettet und sie steht als hundertachtundreißigstreichste Frau der Welt mit einem scheinwerfergroßen Ehering über ihm.«
»Hundertfünfundzwanzigstreichste«, korrigiert ihn Randy, »die FiliTel-Aktie ist nämlich kürzlich hochgegangen.«
An den darauf folgenden Tagen versucht Randy, nicht zufällig dem Dentisten über den Weg zu laufen. Er wohnt in einer kleinen Privatpension am höchsten Punkt der Insel, wo er jeden Morgen bei einem kontinentalen Frühstück auf eine Gruppe von amerikanischen und japanischen Kriegsveteranen trifft, die mit ihren Frauen hierher gekommen sind, um sich (so nimmt Randy an) mit millionenfach schwerer wiegenden seelischen Problemen auseinander zu setzen, als er selbst sie je zu verarbeiten hatte. Die Rui Faleiro ist ausgesprochen auffällig und Randy kann sich, indem er jede Bewegung des Helikopters und des Schnellboots beobachtet, ziemlich genau vorstellen, ob der Dentist an Bord ist oder nicht.
Wenn die Luft rein zu sein scheint, geht er hinunter an den Strand unterhalb der Mikrowellenantenne und schaut Amys Tauchern beim Kabelverlegen zu. Manche von ihnen arbeiten draußen in der Brandungszone, wo sie gusseiserne Rohrstücke um das Kabel herum verschrauben. Manche arbeiten einige Kilometer vom Strand entfernt in Abstimmung mit einem Lastkahn, der das Kabel mithilfe eines riesigen hackbeilähnlichen Anhängsels direkt in den schlammigen Meeresboden einschießt.
Das strandseitige Kabelende führt in ein neues Stahlbetongebäude, das ungefähr hundert Meter hinter der Flutmarke errichtet wurde. Es besteht hauptsächlich aus einem großen Raum, der mit Batterien, Generatoren, Klimaschränken und Regalen voller elektronischer Geräte gefüllt ist. Für die Software, die auf diesen Geräten läuft, ist Randy zuständig, und deshalb verbringt er die meiste Zeit in diesem Gebäude, starrt auf einen Monitor und tippt. Von dort führen Fernmeldeleitungen den Berg hinauf zu dem Mikrowellenturm.
Das andere Ende wird in Richtung einer Boje verlängert, die ein paar Kilometer entfernt im südchinesischen Meer tanzt. An dieser Boje ist das Ende des Küstenteilabschnitts Nordluzon befestigt, eines Kabels im Besitz von FiliTel, das an der Inselküste entlang hoch führt. Folgt man ihm weit genug, gelangt man an ein Gebäude an der Nordspitze der Insel, in das ein dickes, von
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