Crystall (German Edition)
werden. Dann musste Mandy vermutlich einen Fehler begangen haben, als sie versuchte, nach dem Beobachter Ausschau zu halten. Danach hatte es begonnen: Sie vernahm regelmäßig hauchende Stimmen, die sie niemals richtig deuten konnte, sosehr sie sich auch bemühte. Obwohl ihre klackenden Geräusche auf dem Kopfsteinpflaster die einzigen blieben, hatte sie irgendwie den Eindruck gewonnen, verfolgt zu werden. Es war, als spüre sie bohrende, eiskalte Blicke in ihrem Rücken, die sie frösteln ließen. Aber jedes Mal, wenn sie herum fuhr und nach sah, war die Straße leer. Dabei blieb es aber nicht, denn Mandy konnte durchaus eins und eins zusammenzählen. Sie war absolut sicher, bei jedem Blick ganz kurz schattenhafte Bewegungen zu erkennen. Das Schauspiel musste sich mittlerweile dutzendfach wiederholt haben und immer gab sich der Verfolger die größte Mühe, blitzschnell zu verschwinden, und zwar auf eine Art, die Mandy ganz bewusst zu der Überlegung zwang, war es nun Einbildung oder nicht? Mandy war aber bereits der Meinung, dass da jemand war und unerkannt bleiben wollte.
Zu diesem Zeitpunkt ahnte Mandy, dass der geheimnisvolle Fremde lediglich Angst aufkeimen lassen wollte. Wenn er sie hätte töten wollen, dann war dazu bisher genügend Gelegenheit. Doch das schien irgendwie nicht die Absicht des Mystikers zu sein. Er war viel schneller und auch wenn Mandy nur selten zurück blickte, so spürte sie wohl den prickelnden Atem im Nacken und das Zittern, das einen befiel, wenn die Gefahr sehr nahe war. Ganz selten und nur mit äußerster Konzentration glaubte sie sogar fremden Luftzug zu hören. Dabei blieb es letztlich immer. Wenn Mandy stehen blieb oder sich umsah, war sie alleine und entdeckte nichts als Schatten aus den Augenwinkeln.
Es machte sie rasend. Trotz der fast schmerzlichen Furcht rannte sie nicht einmal, sie ging einfach zügig und zielstrebig. Aber auch auf diese Weise verlor sie an Energie. Mandy hatte das Gefühl, als fließe der Schweiß in Strömen ihren ganzen Körper hinab, sie zitterte, wenn eiskalte Hände nach ihrer Haut griffen. Bald musste etwas geschehen, denn Mandy spürte, dass ihre Kraft versiegen würde, es war nur noch eine Frage von Sekunden. Nicht nur der strenge Lauf nahm ihr die Luft, sondern auch die Angst zusätzlich. Sie fühlte sich in einem schmalen Käfig gefangen, aus dem es kein Entkommen gab, und schlug sie noch so heftig gegen die Gitterstränge.
Obwohl ihre Ausdauer merklich nachließ, lief sie noch schneller und versuchte endlich ihre Vernunft herbei zu zwingen. Das war alles andere als leicht. Die Panik war so heftig wie vor fünfzehn Minuten und in dem eiligen Lauf war es nahezu unmöglich, einen klaren Gedanken zu formen. Aber verdammt, sie musste endlich die Logik wiederfinden, sie konnte schließlich nicht ewig davon laufen. Ihre Angst haftete mit gleichbleibender Intensität an ihr und lähmte ihr Denken. Sie wusste, dass sie eine Lösung finden musste, doch wenn sie Details austüfteln wollte, schien es, als sitze in ihren Hirnströmen eine unsichtbare Blockade, so wie es Menschen spürten, die ein Erinnerungsproblem haben. Alle Daten sind vorhanden, aber nicht greifbar. Was Mandy ebenfalls nicht logisch wahrnahm, war die Tatsache, dass ihr Gehirn so beschränkt funktionierte, als säße sie in einem Traum fest.
Für das Mädchen wurde es beinahe zu einer Selbstverständlichkeit, die einsamen, langen Gassen, die gleichen Häuser, die immer wiederkehrenden, selben Eindrücke. Eigentlich hätte sie längst Verdacht schöpfen müssen. Etwas stimmte nicht.
Zum ersten Mal auf ihrer langen Flucht gelang es Mandy, vollkommen stehen zu bleiben. Sie würde wenige Sekunden später nicht mehr wissen, wie und warum ihr das gelungen war. Sie stand an einer Kreuzung und keuchte, die Hände auf die Oberschenkel gestützt. Sie musterte jeden der drei neuen Gassen, doch einer glich dem anderen und führte nur in einen Sichtbereich, der völliger Dunkelheit unterlag.
Mandy spürte, dass sie am Ende ihrer Kraft war und die Panik steigerte sich ins Unermessliche. Die fremde Aura kam näher, ohne dabei jedoch sichtbar zu sein. Mandy fühlte irgendeine Gegenwart, einen Luftzug und sah auf und ab tanzende Schattenbewegungen, die sich ihr allmählich näherten.
Ihre Fantasie überschlug sich. Sie glaubte bereits, dass sie verloren war und jemand nach ihr greifen wollte. Es waren nichts als Einbildungen, für Mandy aber bittere Realitäten. Sie spürte angebliche, knochige
Weitere Kostenlose Bücher