Crystall (German Edition)
vorwärts, egal wie und wohin.
Ob ihre Tortour Minuten oder Stunden dauerte, für Mandy wurde es eine Ewigkeit und sie glaubte nicht mehr an Wunder und daran, es lebend zu schaffen. Seltsam, sie hatte gar keine Angst vor dem Tod, jetzt, wo er so zum Greifen nahe war. Beinahe sehnte sie ihn sich herbei.
Die beiden kamen immer schleppender voran und so sehr sich Nawarhon auch anstrengte, konnte er nicht verhindern, letztlich doch ein Klotz am Bein zu sein und Mandy spürte sein ganzes Gewicht auf den Schultern ... nein, irgendwie das Doppelte. Ihre Kräfte schwanden zusehends, es bereitete ihr immer mehr Mühe, die Augen offen zu halten und weiter zu gehen. Es war der reine Instinkt, der sie einen Fuß vor den anderen setzen ließ. Am liebsten wäre sie stehen geblieben, einfach nur die Augen schließen und schlafen ...
Aber dann würde sie nie wieder erwachen!
Der Gedanke weckte die restlichen Lebensgeister in ihr und sie kämpfte sich tapfer voran. Alles ging plötzlich wie automatisch. Sie spürte ihre miserable Lage kein einziges Mal, ausgenommen ihre Erschöpfung. Alles andere blieb von ihr fern, prallte irgendwo an einer unsichtbaren Barriere ab. Der Schnee, der immer höher stieg und sie eigentlich ungemein hinderte, den sah sie gar nicht mehr. Irgendwie war es selbstverständlich geworden, mit watenden Schritten gegen die weiße Macht anzukämpfen. Ebenso spürte sie den eisigen Wind nicht mehr, denn es gab kein Körperteil an ihr, das nicht längst erfroren wäre. Der Schneewirbel war viel grausamer geworden, gewandelt zu scharfkantigen Eissplittern, die wie ein Meteoritenhagel zu Boden rasten und sich in die nackte Haut bohrten und sie sogar aufrissen. All das geschah, ohne dass sie den Schmerz wahrnahm.
Mandys Kragen war so weit ins Gesicht gezogen, wie möglich und sie ging weit nach vorn gebeugt, um dem direkten Schneeansturm zu entgehen. Deshalb taumelte sie rein instinktiv vorwärts, ganz so wie ein Tier, denn sie sah keinen Weg mehr und wahrscheinlich hätte sie es auch nicht gekonnt, wenn sie bei voller Gesundheit gewesen wäre. Der Schneetanz wurde immer heftiger und so dicht, dass vor ihnen nichts als eine weiße Wand lag, undurchdringlich für das Auge.
Irgendwann ging es kaum mehr vorwärts. Mandy keuchte und biss sich so wuchtig auf die Lippen, dass sie aufplatzten und zu bluten begannen. Mühsam schaukelte sie vorwärts und kämpfte jetzt mit jedem Schritt um ihr Gleichgewicht. Ihre Beine wollten einfach nicht mehr, die Knie zitterten und waren irgendwie taub.
Nawarhon stöhnte und schlug für einen kurzen Moment die Augen auf. Er starrte Mandy mit dem Versuch eines Lächelns an. Schließlich bewegten sich seine Lippen. Sie bebten und formten keuchende Laute. „Halt ... durch, Mandy. Du ... du ... schaffst es. Der letzte Weg ... wir werden gewinnen...“ Danach fielen seine Augen ganz zu und sein Kopf kippte auf die Seite.
Nawarhon wurde durch seine entgültige Bewusstlosigkeit noch schwerer und drückte zusätzlich auf Mandys Schultern. Zunächst rief sie das erneute Gewicht ins Leben zurück, doch dann taumelte sie noch unkontrollierter. Zumindest hatte Nawarhons Versuch des Sprechens fürs erste seinen Zweck erfüllt. Mandy war nicht sicher, ob sie wirklich den Sinn darin verstanden hatte, aber der Prinz hatte einfach nur gewollt, dass ihr Überlebensgeist erwachte. Einige Minuten funktionierte das auch und Mandy lief kurze Zeit eine Spur schneller. Doch auch die letzten Reserven verbrauchten sich einmal. Sie kämpfte gegen die Schwäche, konnte aber nichts tun. Entgültig brach sie auf die Knie, ebenso Nawarhon und weiter an das Mädchen gelehnt.
Wieder fielen Mandys Augen zu, ihr Atem ging nur noch sehr schwach und jetzt im Schnee kauernd schien sie erst zu merken, wie sehr sie fror. Ihr gesamter Körper bebte und fühlte sich längst nicht mehr eisig an, sondern bereits taub. Sie zitterte, dass es weh tat und ihre Zähne schlugen schmerzlich aufeinander.
Sie würden nun sterben.
Eine wohlige Schwärze umfing ihren Geist und die Müdigkeit war so verlockend, dass sie nicht mehr dagegen ankämpfen konnte. Sie sah vor dem geistigen Auge einen riesigen, schwarzen Moloch voller Wärme und Geborgenheit. Ob das der Tod war?
Irgendetwas riss sie verzweifelt in die Wirklichkeit zurück. Ihre Lider blieben geschlossen, dennoch boten ihre Sinne letzte Arbeit.
Sie hörte etwas.
Es war eigentlich nahe, aber für Mandy nichts als Laute, die ebenso gut der Fantasie entsprungen sein
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