Crystall (German Edition)
tun konnte. Oder besser gesagt, ob sie sich überhaupt einmischen sollte. Wie die Dinge lagen, brauchte Nawarhon wohl jede Hilfe und in Mandy zog sich alles zusammen bei dem Gedanken, hier nur zu hocken und nichts unternehmen zu können. Aber da war einfach dieser verdammte Respekt Nawarhon gegenüber, der es ihr unmöglich machte, klare Gedanken zu fassen. Sie durfte nicht in den Kampf eingreifen, der Prinz würde es ihr niemals verzeihen, seine Ehre ging ihm über alles. Dieser edle Stolz war ein Charakter, den es in ihrer Heimat nicht mehr in dem Maße gab, wie zu mittelalterlichen Zeiten. In ihrer Welt gab es kein Mann gegen Mann, keine Fairness und zu verletzende Ehre. Wenn ein Freund Hilfe benötigte, dann bekam er sie auch. Aber hier war das etwas anderes. Mandy konnte sich in die irren Gedanken nicht hinein versetzen, aber sie wusste, was Ehre in dieser Welt bedeutete. Sie war alles für einen Mann. Wenn sie Nawarhon jetzt beistand, würde er ihr das niemals verzeihen, er würde sich entehrt zurückziehen. Aber war dieser Stolz den Tod wert? Mandy begriff das nicht wirklich und sie rang verbissen mit ihren Überlegungen. Natürlich, sie konnte ihm jetzt helfen; was war schon dabei, wenn er hinterher kein Wort mit ihr redete? Sein Überleben wäre ihr viel wichtiger gewesen. Andererseits, was, wenn er Selbstmord wegen seinem verletzten Stolz beging? Mandy seufzte, sie konnte hin und her überlegen, fand aber keinen Nenner. Sie schaffte es einfach nicht, sich in diese komplizierten Gedankengänge der Ehre hineinzuversetzen.
Ihm helfen oder die Ehre lassen? Stand sie ihm wirklich bei, wenn sie seinen männlichen Stolz nahm?
Verdammt, das war einfach zu verwirrend. Wer hatte sich nur diese Idee einfallen lassen – Ehre bis in den Tod?
Aber sie könnte ...
Mandy sprang plötzlich in die Höhe und ihr Herz machte einen heftigen Sprung. Ja, vielleicht konnte sie beides tun. Es musste sich doch machen lassen, ihm zu helfen, ohne seine Ehre zu verletzen. Und wie? Ganz einfach, Nawarhon und sein Vater durften es nicht bemerken. Das war die Lösung. Mandys Augen leuchteten begeistert auf.
Derweil hatte sich Nawarhon wieder aufgerappelt und feilte vermutlich an irgendeiner Taktik. Er hielt sein Schwert jetzt nur noch in der Rechten und begann, den König mit kleinen Schritten zu umkreisen. Er wollte den richtigen Moment abpassen. Zwar stand sein Vater leichtfertig offen da, aber er wusste wohl am besten, dass diese Gelassenheit täuschte, eine Verführung zum überheblichen Angriff war. Der Satyr war in Wirklichkeit hochkonzentriert.
Mandy stand ebenfalls da und überlegte, wie sie unauffällig helfen konnte, während die beiden Männer sich momentan still gegenüberstanden. Beinahe erschrak sie, als das nächste Kräftemessen urplötzlich entbrannte. Besorgt und mit klopfendem Herzen erkannte sie die Unerbittlichkeit, mit der die beiden fochten. Aber diesmal waren es kluge und vor allem schnelle Hiebe. Mandy konnte dem Kampf nur schwer folgen. Nawarhon und der König wechselten ununterbrochen die Seiten, wichen mal zurück und griffen dann wieder an. Ihre Ausdauer war beachtlich und die Klingen prallten mit Präzision und unglaublicher Schnelligkeit aufeinander, wie ein Platzregen von Stahltropfen. Das Echo des aufeinanderschlagenden Harteisens hallte durch die ganze Nacht und gegen jedes Windheulen.
Und schließlich waren sie verschwunden.
„Hallo?“ Mandy murmelte das Wort nur vor sich hin. Überrascht blinzelte sie in ihre Umgebung und es dauerte noch einmal etliche Sekunden, ehe sie im Schneegestöber das Aufprallen der Klingen vernahm. Der Kampf schien pausenlos anzudauern.
Ich darf sie nicht verlieren , rief sich Mandy gedanklich zu. Noch einmal lauschte sie aufmerksam dem Kampflärm, bevor sie den Kopf zwischen sie Schultern zog und sich daran machte, den Duellanten zu folgen. Und sie merkte sofort, wie schwer es werden würde und sie fragte sich ernsthaft, wie diese beiden Verrückten bei dem Wetter auch noch kämpfen konnten. Sie selbst hatte alle Mühe, nur einen Fuß vor den anderen zu setzen.
Es dauerte gute fünf Minuten, bis Mandy die zwei wiederfand. Damit neigten sich ihre Kräfte auch allmählich dem Ende, der Schneesturm hatte nicht vor, nachzulassen. Stattdessen wurde es von Minute zu Minute schlimmer.
Der Kampf tobte in sicherer Entfernung und keiner der beiden konnte sie auch nur erahnen. Mandy sah dem Wüten nur kurzzeitig zu, bevor ihr klar wurde, dass sie etwas unternehmen musste .
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