Crystall (German Edition)
entgegenkommender Richtung bretterte. Es wurde sichtlich nervös und Nirrka musste alle Geduld aufbringen, um sie mit dem Ross unbehelligt durch die Massen zu manövrieren. Die Bewohner Nadjus schienen nicht viel auf Rücksicht zu geben, denn sie ließen sich nicht einmal durch ein angespanntes Pferd aus dem Treiben bringen, das nahe daran war, zu beißen und auszuschlagen.
Mandy beobachtete Nirrkas Anstrengungen nur noch beiläufig, sie war ohnehin die einzige, die etwas unternehmen konnte. Außerdem wurde sie immer häufiger abgelenkt. Sie sah die unterschiedlichsten Wesen und Gestalten in dieser Stadt, einige menschengleich, andere vollkommen aus der Reihe fallend. Sie hatte das Gefühl, hier gab es jedes Leben von Einhorn bis Satyr. Es war ein bunter Haufen in stetigem Treiben und Handeln, die meisten interessierten sich nicht sonderlich für die Fremden. Im Gegenteil, es erschien Mandy beinahe so, als würden sie bereits dazu gehören. Ihr gefiel das persönlich sehr gut, denn unter so viel Trubel fühlte sie sich seit langem mal wieder nicht einsam und in Gefahr. Das einzige, was sie störte, war die rege und kopflose Geschäftigkeit, in der sie auf nichts anderes achteten. Sie hegte sogar den leisen Gedanken, dass es gar nicht großartig aufgefallen wäre, wenn jemand überfallen oder gekidnappt wurde. Es war ein solcher Lärm, wie er nur in großen Touristenstädten möglich war, selbst die schallend klackenden Hufe des Pferdes auf dem Kopfsteinpflaster wurden förmlich verschluckt.
Mandy warf den Blick voraus. Sie konnte sich ein Schmunzeln nicht verkneifen, wenn sie die umherstürzenden Wesen betrachtete, die Nirrka immer wieder zu Flüchen veranlassten. Völlig unbekümmert stürmten die einher und betrieben ihre Geschäfte selbst vor den Hufen des Pferdes. Sie sah, wie Nirrka sichtlich verärgert wurde. Mehr als nur ein scharfes Wort war bereits über ihre Lippen gegangen.
Mandy vermutete, dass sich das ehemalige Sklavenmädchen in Nadju bereits auskannte, denn sie schien direkt auf irgendein Ziel hinzusteuern. Mit sehr viel Geschick brachte sie das Pferd durch die überfüllten Straßen, bog irgendwann in eine neue Querstraße ab und führte die Freunde auf einen etwas größeren Platz. Es war nicht der Markt, wie selbst Mandy bemerkte, aber er bot jede Menge Raum – unter anderem für noch mehr Wesen.
Der Trab endete an einem der Gebäude, ebenfalls aus quaderförmigem Stein, das mit einer Flagge besetzt war. Wenn Mandy ihre Fantasie ein wenig anregte, könnte das ein Gasthaus sein.
Nirrka wies mit Gesten daraufhin, abzusteigen. Sie band das Pferd an einem Holzgeländer fest und lief zur Tür hinüber. Mehr als einmal musste sie die unschlüssigen Begleiter zu sich rufen.
„Was wollen wir dort?“, fragte Maxot stirnrunzelnd.
Nirrka verdrehte die Augen, als hätte er etwas sehr dummes gesagt. „Ausruhen, oder wolltest du eine weitere Nacht durchreiten?“
Der Troll zuckte lediglich mit den Schultern. Wahrscheinlich war er nie in einem Gasthaus gewesen.
„Natürlich werden wir Atem schöpfen“, meinte Mandy und scheuchte den Troll mit einer Geste voraus. Sie betrat hinter ihren Freunden das Gebäude.
Das Gasthaus war bis zum Bersten gefüllt. Mandy wäre um ein Haar rücklings wieder zur Tür hinausgepurzelt, hätte sie nicht im letzten Moment ihr Gleichgewicht wiedererlangt. Augenblicklich schlug ihr eine Welle von Wärme und Lärm entgegen. Sie brauchte keinen Schritt laufen, ehe sie gegen den ersten Gast prallte. Sie entschuldigte sich hastig und bahnte sich hinter Nirrka, die damit ganz und gar kein Problem zu haben schien, verzweifelt einen Weg durch die Massen. Wenn sie geglaubt hatte, auf den Straßen viele Wesen gesehen zu haben, dann musste sie sich aber enttäuscht eingestehen, dass das ein Witz war. Hier drinnen ging es zu, als gäbe es eine Versammlung vor der Geldbank, weil diese die Zinsen um fünfzig Prozent erhöht hat. Wohin das Auge reichte, nichts als Leiber. Mandy bekam beinahe Platzangst, es gab keinen Ort, an dem sie nicht jemanden über den Haufen rannte. Wäre es nicht so eng, dann würden die Gäste längst quer auf dem Boden übereinander liegen.
Der Troll hatte sich derweil entschlossen, auf Mandys Arm Platz zu nehmen, dort erging es ihm wesentlich besser. Für Mandy blieb es dennoch ein Kampf ums Überleben. Die meisten Wesen waren größer als sie und ließen keine weiteren Blicke zu, als auf ihre Rücken. Mandy wusste nicht, wie die Taverne überhaupt aussah.
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