Crystall (German Edition)
in gewissem Grade entflohen waren. Ihr Pferd hatte sich als unglaublich ausdauernd und kräftig erwiesen, nicht eine Pause war erforderlich gewesen. Schließlich konnten sie mit Nirrkas Hilfe die Wüste entgültig hinter sich lassen. Vorbei war der ewige Sand und die größte Hitze. Da sie selbst die Nacht durchgeritten waren, trafen sie längst auf eine neue Landschaftsebene, als sie begannen, müde zu werden. Anfangs war unter ihnen Steppe. Sie wurden begleitet von hartem Sand, vereinzelten Steinen und winzigen Ansätzen von Vegetation. Und am Ende jener Steppe waren sie auf die Stadt getroffen.
Nadju.
Mandy schöpfte wie hergezaubert plötzlich neue Energie, als sie die Stadt auch nur aus der Ferne erblickte. Auch ihren Freunden schien es ähnlich zu gehen, denn ihre Köpfe schossen ebenfalls in die Höhe. Allerdings schonten sie sich alle vor unnötigen Worten.
Ihr Pferd war die letzte Stunde lahm geworden, doch auch das Tier schien eine Art neue Hoffnung zu spüren. Vielleicht witterte es einfach nur einen Stall mit frischem Wasser und Stroh. Jedenfalls legte es gleich ohne Zutun einen Zahn zu und steuerte zielstrebig in Richtung der Stadt. Es hätte Nadju erreicht, selbst wenn seine Reiter tot darauf gelegen hätten. Es mobilisierte seine letzten Kräfte.
„Die heilige Stadt“, murmelte Nirrka mit leichtem Ansatz der Erschöpfung. Irgendwie schwang sogar ein Ton der Ehrfurcht in ihrer Stimme. „Nadju, das berühmte Orakel, Freunde, Essen...“ Sie lächelte schwach.
„Und endlich in Sicherheit“, fügte Maxot hinzu. Er hätte fröhlich klingen können, wäre da nicht die Erschöpfung gewesen.
„Nadju ist wirklich keine Gefahr für uns?“, wollte Mandy wissen, obwohl sie kaum Lust auf Diskussionen verspürte. Aber andererseits musste sie sicher gehen, ob es auch wirklich zu Ende war und Nadju tatsächlich so, wie es alle vorschwärmten.
„Wenn es irgendwo friedlich zugeht, dann da“, versicherte Nirrka überzeugt.
Sie würden es erleben.
Und bald. Ihr Pferd schien mit den letzten Metern statt langsamer, stetig schneller zu werden und brachte sie rasch zu der Stadt, die man bereits in voller Pracht betrachten konnte. Zumindest Mandy, für die alles neu war, musterte Nadju eingehend. Sie musste sich wohl oder übel eingestehen, dass sie nicht einmal enttäuscht war. Die berühmte Orakelstadt entsprach tatsächlich dem, was sich Mandy unter abgelegen und zugleich berühmt vorstellte. Sie war gewiss nicht sehr groß und kam kaum über zwanzig Gebäude hinaus, dennoch vermittelte Nadju eine Größe für sich. Soweit sie das überblicken konnte, bestanden sämtliche Bauten aus purem, quaderförmig gehauenem Stein, der grau, aber nicht einmal leblos wirkte. Zwischen den gut zehn Meter hohen Gebäuden bahnten sich schmale Gassen ihren Weg durch ein Steinlabyrinth. Alles wirkte wie mit dem Lineal gezogen, feinstens ausgeschliffen und systematisch angeordnet. Wüsste es Mandy nicht besser, könnte sie meinen, einer akkurat von Kinderhand aufgebauten Spielzeugstadt gegenüber zu stehen. Irgendwo in dem Wirrwarr der Gänge gab es auch einen gewaltigen Marktplatz, der sehr belebt schien. Genaueres war noch nicht zu erkennen. Und trotz der eng verwinkelten, hohen Gebäude drang das Licht der Sonne in jede Ritze und brachte die Steinstadt zum Funkeln in silbernem Schimmer.
Ihr Weg führte sie auf eine schmale, hölzerne Hängebrücke, die über einen tiefen Wassergraben führte. Das Pferd wurde instinktiv langsamer, es fühlte sich ein wenig unsicher auf dem schaukelnden Überweg, der sie entgültig aus der Steppe brachte und in die neue Stadt führte. Mandy stellte überrascht fest, dass die Gassen längst nicht so eng waren, wie es vorhin den Anschein gehabt hatte. Im Gegenteil, zwischen den Gebäuden war ungemein viel Platz, ließ überall hin das Sonnenlicht dringen und erschien Mandy wie ein verteiltes Netz einer großen Handelsstraße. Schon von hier war zu erkennen, wie viele Wesen sich in Nadju tummelten. Sie alle liefen kreuz und quer durch die Straßen, prappelten lautstark und waren größtenteils damit beschäftigt, entweder zu feilschen oder sich zu beschimpfen, vorwiegend über Belanglosigkeiten, die eher schmunzeln als zornig werden ließen.
„Ruhig jetzt“, rief Nirrka ihrem Tier zu und zügelte es behutsam.
Mandy erlebte bald, weshalb das so von Bedeutung war. Die Straßen waren so dicht und belebt, dass ein einziges Pferd wie ein Panzer schien, der plötzlich über die Autobahn in
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