Cthulhu-Geistergeschichten
schließlich doch noch überwältigt, so daß er einem Herzschlag erlegen war? Blake beugte sich über die mattschimmernden Gebeine des Toten und stellte an ihnen einen eigenartigen Zustand fest: einige Knochen waren arg zersplittert, während andere wieder an den Enden merkwürdig aufgefasert zu sein schienen. Wieder andere waren in ein seltsames Gelb übergegangen, wirkten hier und da verkohlt. Auch die Kleiderreste wiesen angesengte Stellen auf. Der Schädel war in einem höchst absonderlichen Zustand - dunkelgelb, angekohlt und mit einem unregelmäßig geformten Loch in der Basis, ganz so als habe sich dort eine hochkonzentrierte Säure durch den soliden Knochen gefressen. Was aber mit dem Skelett, das während dieser vier Jahrzehnte Grabesstille geschehen war, vermochte sich Blake nicht vorzustellen.Ehe er sich dessen bewußt wurde, fiel sein Blick wieder auf den Stein und ließ die seltsame Ausstrahlung mit nebelhaften Prozessionen in seinen Geist dringen. Er sah endlose Züge kapuzenverhüllter Gestalten, deren Umrisse nichts Menschliches hatten, und ungeheure Ebenen, wüste Flächen, aus denen sich himmelhohe Monolithe erhoben, er sah Türme und Wälle in nachtdunklen unterseeischen Abgründen und die schwindelerregenden Schlünde des Alls, darin sich schwarze Nebelwände mit dünnen eisigen Purpurdämmerungen vermischten. Und jenseits all dieser Erscheinungen erblickte er eine ungeheure Schlucht grausigster Finsternisse, in der unbestimmbare Kräfte über ein Chaos zu walten schienen, Kräfte, die den Schlüssel zu allen Paradoxa und geheimen Wissenschaften dieser Welt besaßen.
Dann brach mit einem Male eine nagende, intensive panische Angst den Zauber. Blake wandte sich wie ein Erstickender von dem Stein ab, denn er spürte mit jeder Faser die nahe Gegenwart eines fremden formlosen Wesens, das ihn mit grauenhafter Intensität beobachtete. Er fühlte, daß ihn irgendetwas umlauerte - ein Ding, das, obgleich nicht im Stein selbst vorhanden, ihn dennoch durch diesen betrachtete; etwas, das ihm mit einem Erkenntnisvermögen nachjagen würde, das nichts mit physischem Sehen zu tun hatte.
Offenbar hatte die Atmosphäre dieses Raumes seine Nerven angegriffen, was angesichts seines schaudervollen Fundes nicht wundernehmen konnte; zudem verdämmerte draußen bereits das Tageslicht - er mußte allmählich an den Rückweg denken, da er keine Lampe mitgenommen hatte. In dem zunehmenden Zwielicht glaubte er die Facetten des wunderlichen Steines schwach von innen herausglosen zu sehen. Er hatte fortzublicken versucht, aber irgendein dunkler Zwang richtete seine Augen immer wieder auf den fürchterlichen Gegenstand. Sollte das Ding eine gewisse Phosphoreszens von Radioaktivität besitzen? Hatte der tote Reporter in seinen Aufzeichnungen nicht den Leuchtenden Trapezoeder erwähnt? Von wo aus hatte dieses kosmische Unheil seinen Lauf genommen? Was war hier oben im Turm bereits geschehen? Und was mochte in diesen von allen Vögeln der Luft gemiedenen Schatten noch lauern? Der Raum war jetzt von einem schwachen, widerlichen Gestank erfüllt, dessen Ursprung nicht genau zu bestimmen war. Blake griff nach dem Deckel der offenen Schatulle und schloß ihn, um so den unheimlichen glosenden Stein zu verbergen.
Als sich der Deckel mit einem scharfen Klicken schloß, war es, als dränge aus der Dunkelheit des Turmhelms über der verriegelten Falltüre leises scharrendes Geräusch nach unten. Fraglos Ratten - die einzigen lebenden Wesen, deren Gegenwart Blake wahrgenommen hatte, seit er in das Innere dieses fluchbeladenen Steinhaufens getreten war. Aber trotzdem versetzte ihn dieses Geräusch in ein so maßloses Grauen, daß er über die spinnwebverheerte Treppe nach unten flüchtete, keuchend durch das grausige Kirchenschiff hetzte und erst vor dem Fensterloch anhielt, um einen Augenblick Atem zu sammeln. Dann ließ er, das ghoulische Schweigen wie eine Last im Nacken, so schnell wie möglich die spukigen Plätze und angstdunstenden Gassen von Fe-deral Hill hinter sich und fühlte sich erst wieder erleichtert, als er die heimeligen Backsteinmauern der Universität vor sich sah.
In den darauffolgenden Tagen berichtete Blake niemandem von seiner Expedition. Statt dessen las er viel in gewissen Büchern, durchforschte alte Zeitungsausschnitte und arbeitete wie im Fieber an der Entzifferung der Geheimschrift des ledergebundenen Bändchens, das er zwischen den Spinnwebfahnen der Sakristei entdeckt haue. Die Code, das stellte er bald
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